Wanderung auf den Joúchtas



Wenn man möchte, kann man den Joúchtas wegen der räumlichen Nähe zum Ort gerne als den "Hausberg" von Archánes bezeichnen.
Sicherlich werden viele, die in Archánes verweilen oder auf der Durchreise sind, in Erwägung ziehen, auf den Gipfel hinauf zu kommen - sei es zu Fuß oder motorisiert, denn der Hauptweg nach oben ist auch für fahrbare Untersätze konzipiert.

Auch wir hatten einen Spaziergang dort hinauf geplant und wollten zunächst nur den Zugang, den Abzweig von der Hauptstraße, in Augenschein zu nehmen, um am nächsten Tag schon früh und ohne lange Rumsucherei hinauf zu gehen.

Zwei Wegweiser zum Joúchtas hatten wir bereits gesehen. Den einen im Dorf, in der Nähe der Panagiá-Kirche, den anderen am südlichen Dorfausgang. Wir folgten letzterem, der vom unteren Ende der Platía abzweigt, und verließen Archánes auf der Hauptstraße.

südlicher Ortsausgang von Archánes

Zunächst führt die Straße ein wenig bergauf, an einer Schule vorbei. Gleich gegenüber forderte uns ein Dalmatiner auf, mit ihm zu spielen und ihn mal ausgiebig durchzukraulen, was wir auch gerne taten. Nach ein paar weiteren Metern bergan erreichten wir die Kuppe, wo die Straße für eine kleine Weile als Schatten spendende Kiefernallee weiterführt.

Schöne Ausblicke auf die Stadt und die Umgebung, Weinfelder überall, mit bereits sich herbstlich
verfärbenden Blättern, dazwischen einzelne Olivenbaumkulturen.

Wir hatten gelesen, dass der Weg zum Joúchtas etwa zwei Kilometer hinter dem Ortsausgang von Archánes abzweigt. An der ersten Kreuzung, knapp einen Kilometer hinter dem Ortsausgang, mündet die neue, noch unfertige Umgehungsstraße. Wir ließen sie rechts liegen und trotteten weiter, die Hauptstraße entlang.

Ein Auto hielt an, der griechische Fahrer fragte, ob wir mitwollten. Klar, denn die viel befahrene Straße fanden wir nicht besonders einladend. Der nächste Abzweig rechterhand war der, den wir nehmen sollten. Es gäbe zwar noch vom Dorf her einen andere Route auf den Berg, doch der sei nicht so gut begehbar, erklärte uns der Fahrer.

Er meinte, es sei ein sehr weites Stück Weg dort hinauf. Wir fragten, was er denn mit "sehr weit" meine, drei bis vier Stunden? Nein, so weit sei das auch wieder nicht, aber anderthalb bis zwei Stunden sollten wir schon einplanen! Uns erschien das nicht wirklich weit......
Wir bedankten uns für die freundliche Mitnahme und machten uns gerade auf den Weg, als uns ein französisches Paar entgegen kam. Sie waren die Strecke mit dem Auto hochgefahren. Der Fahrer kurbelte die Scheibe herunter und berichtete, dass es wirklich ganz toll dort oben sei, man hätte fantastische Ausblicke, doch es sei sehr weit. „Bonne Chance!“ (Viel Glück!) wünschten sie uns beim Wegfahren. Es sah wirklich nicht weit und schwierig aus, was die Leute nur alle haben?

Eigentlich wollten wir den Aufstieg ja erst morgen machen, doch wo wir schon mal hier waren, beschlossen wir kurzerhand, gleich hinaufzugehen. Ein Fläschchen Wasser hatte jeder dabei und ein paar Kleinigkeiten zu essen, das würde schon reichen.

So begannen wir unseren sehr schönen Spaziergang, auf gutem Schotterweg locker in anderthalb Stunden zu schaffen. Kiefern und Kermeseichen am Rand, immer mal wieder wohltuender Schatten quer über unseren Weg, denn es war ziemlich heiß an diesem Tag.


Die Aussicht wurde hinter jeder Kurve grandioser. Archánes immer sichtbar, langsam kleiner werdend. Die Hügel drum herum, goldig-gelbe Weinfelder. Wir fühlten uns phantastisch. Endlich, nach so vielen Monaten am Schreibtisch, wieder richtige Bewegung in wunderschöner Landschaft, das belebt Geist und Körper.


Auf einem kleinen Plateau, bevor der Weg schattenlos wird, legten wir ein Päuschen ein. Eine Abzweigung führt hier in einen Kiefernwald ab. Ruhig ist es, einfach toll. Während wir ein wenig Wasser tranken und ein paar Bissen zu uns nahmen, kamen einige Autos den Berg herauf gefahren, besetzt mit Griechen. Auch ein Priester war dabei. Man hupte und grüßte freundlich.

Der letzte Abschnitt stand uns nun bevor, eine Traverse den Nachbarhügel hinan bis auf die Spitze.

Ein kleines Schild weist auf einen Fußpfad zur Kirche hoch oben, „Aféndi Christoú“ (die Kirche "des Herrn Christus"), der die letzte Serpentinenkehre erspart und den Fußgänger an duftenden Kräutern vorbei geradeaus direkt nach ganz oben führt. Die weiß-gekalkte Kirche taucht unvermittelt auf.


Am Fuß einer Treppe, über die man die letzten Meter bis hoch zum Kirchhof steigt, ruhten wir uns ein wenig aus. In der Kirche selbst wurde gerade eine Messe zelebriert, eine Taufe, die wir nicht stören wollten.

Stattdessen beobachteten wir die Adler und ließen die grandiose landschaftliche Vielfalt auf uns wirken, die hier in verschwenderischem Maße dargeboten wurde.

das Díkti-Massiv im Osten mit den üppigen Wein- und Olivenfeldern im Vordergrund, die Archánes einrahmen

im Norden die nahe Inselhauptstadt und das kretische Meer, das gerade mal als blaues,
verschwommenes Band wahrnehmbar war.

im Westen das Ida-Gebirge

das sich nach Süden fortziehende hügelige Hinterland von Iráklion

Mittlerweile hatten wir uns vom letzten steilen Stück des Weges wieder erholt und die Taufe war vorbei. In der Kirche regelte der Pfarrer noch die letzten Formalitäten, wir warfen einen Blick hinein, Weihrauchschwaden machten uns ganz benommen.


Gleich kamen einige der Kirchenbesucher auf uns zu und überreichten uns kleine Pappschächtelchen mit zuckersüßem Taufkuchen. Das Kleidchen für die Zeremonie wurde von einem älteren Herrn würdevoll und vorsichtig auf ausgestreckten Armen zum Auto getragen. Eine Angehörige mit gewagt offenem Top unterhielt sich mit einem Mann, der reichlich Videoaufnahmen von Landschaft und Menschen machte. Circa zwanzig Personen waren hierher gekommen, die jetzt, so wie wir, den Rundumblick genossen. Die Hauptperson selbst war ein etwa dreijähriges, sonniges, kleines Mädchen, das - ganz still und freudig, an beiden Händen von Erwachsenen begleitet - schließlich mit der Prozession wieder die Treppe hinab zu den Autos stieg.


Ein letzter freundlicher Gruß des Pfarrers, bevor er sich in sein Gefährt schwang, dann waren wir mit wenigen anderen Touristen alleine. Die meisten waren motorisiert hierher gekommen. Eine Weile saßen wir im Schatten auf der Nordseite der Kirche. Später im Kirchhof kletterten wir auf die danebenliegenden Felsen, um eine noch bessere Sicht zu haben. Einfach gigantisch, obwohl wir nur wenig mehr über 800 Meter hoch waren. Etliche Adler zogen nach Beute spähend ihre Kreise.
Schließlich aßen wir unseren restlichen spärlichen Proviant auf, denn langsam machte sich richtiger Hunger breit.

Den Rückweg nahmen wir ohne die Abkürzung, und siehe da, das Gipfelheiligtum, das schon zu minoischer Zeit als Weiheort genutzt worden war, befindet sich nicht etwa an der Stelle der Kirche, von der wir gerade herkamen, sondern auf einem Nachbargipfel in der Nähe. Ein Schild weist auf einen eigens angelegten Pfad hin, der genau in der Kurve beginnt, die wir beim Aufstieg durch unsere Abkürzung ausgespart hatten.
Obwohl uns der Hunger mittlerweile ins Dorf trieb, wollten wir uns die Gelegenheit doch nicht entgehen lassen. Zu verführerisch war die Idee, heute, am Vollmondtag, auf heiligen Gipfeln zu wandeln. Der Weg endet nach wenigen Minuten in einem Geröllpfad, der zu einem leider verschlossenen Tor führt. Dahinter setzt sich ein gepflasterter Weg fort, Steinquader liegen herum. Viel mehr ist von dort aus leider nicht zu erkennen. Schade.


Wir tranken noch unsere letzten Schlucke Wasser und „rollten“ dann wieder bergab, genossen nochmals herrliche Ausblicke im Nachmittagslicht. An der Hauptstraße angekommen wohnten wir den Nachmittagsgewohnheiten einiger Jugendlicher bei, die sich mit ihren frisierten Kisten ein Kopf-an-Kopf-Rennen mitten auf der Hauptstraße lieferten, straßauf, straßab, immer wieder. Offensichtlich ging es darum, welche Schleuder aus dem Stand am besten zieht. Dazwischen ein paar Aufbäumer, sie hatten uns ja als Publikum.
Am Ende fielen wir in Archánes ein Mal mehr in der Taverna „Ambelos“ ein und vertilgten jeder ein halbes Schwein auf Toast. Na ja, nicht wirklich, aber so was in dieser Dimension war es schon. Und leckeren Wein dazu, und einen Raki hinterher zum Nachspülen.

Endlich kamen wir auch in den Genuss, offenen Wein einkaufen und mitnehmen zu können. Vier Euro kostete das Kilo. In keinem der Kafenía und auch in keinem der zahlreichen Minimärkte oder Pantopolía verkaufte man offenen Wein aus der Umgebung zum Mitnehmen. Das fanden wir sehr merkwürdig für eine Gegend, die wegen ihres Weines berühmt ist. Nun ja, letztendlich hatten wir ja eine Möglichkeit aufgetan. Zufrieden und satt beschlossen wir den Wandertag und trollten uns langsam in unsere Zimmer, um den Abend zu genießen.

Die Zeit nach Mondaufgang (bei Vollmond ist das ja sehr bald nach Sonnenuntergang) mag ich am liebsten, denn dann ist der Trabant oft sehr groß und gelb leuchtend zu sehen, bevor er seine Bahn zieht.

Um das Schauspiel zu beobachten stieg ich also unsere Gasse bergan, wich vielen Autos aus, sprang vor einem Motorrad zur Seite, das die Straße herabgeschossen kam und sah den Mond irgendwie zwischen den Straßenlampen und den aufgeblendeten Scheinwerfern heranpreschender Autos. Es war hier einfach kein Ereignis, zuviel visuelle und akustische Ablenkung. Auf eine weitere Wanderung hatte ich auch keine Lust, kannte mich hier auch nicht genug aus, um in der Nacht über die Felder zu stiefeln. Ich hatte mich so darauf gefreut, einmal wieder bei Vollmond auf Kreta zu sein. Enttäuscht kehrte ich wieder um.
Zum Trost rief ich mir noch einmal die Bilder des heutigen Tages in Erinnerung, die uns wirklich begeistert hatten, auf einer Wanderung, die auch weniger geübten Fußgängern Freude bereitet, denn eines ist gewiss:
Mit dem Auto geht alles schneller und bequemer, doch das erhebende und befreiende Gefühl der Bewegung mit gleichzeitigen Landschaftseindrücken, der im Herbst so würzige Kräuterduft, die Entwicklung einer Wanderung vom Fuß bis hoch zum Gipfel kann man im Auto so nicht nachvollziehen.

Erlebnisse in Houdétsi