Eigentlich hatten wir vorgehabt, noch ein paar Tage länger in Archánes zu bleiben. Doch das Wetter hatte sich zusehends verschlechtert, die Zeit der Herbststürme war angebrochen, und ich vertraute darauf, dass es im Süden besser sei. Aus anderen Jahren weiß ich, dass sich das Wetter im Oktober auf Kreta ganz unterschiedlich gestalten kann. Manchmal ist es mild, manchmal auch sehr wechselhaft und den ganzen Monat hindurch regnerisch und stürmisch, was sich erst im November wieder beruhigt und dann wieder zu milderen Temperaturen führen kann. Die ganze Nacht hindurch hatte es geblitzt und gedonnert, Regen hatte unaufhörlich aufs Dach geprasselt, wahre Bäche waren über den Innenhof unserer Unterkunft gelaufen. Erst am Vormittag hatte der Regen etwas nachgelassen, und diese Zeit wollten wir nutzen, um uns über Iráklion in die Messará vorzuarbeiten. Der Busfahrer, der uns von Archánes nach Iráklion bringen sollte, sei an dieser Stelle nun ganz besonders erwähnt. Nein, er steht keinesfalls beispielhaft für die Spezies Busfahrer auf Kreta, die nach meiner Erfahrung freundlich und hilfsbereit sind. Hier hatten wir es mit einem Sonderexemplar der Gattung „Wie lasse ich meinen Frust an anderen aus?“ zu tun, die es überall auf der Welt gibt. Oder einfach nur mit einem Macho. Mit unserem schweren Gepäck rollten und asteten wir also auf den Bus zu. Mein Gruß an den Fahrer, der hinter seinem Lenker saß, wurde nicht erwidert. Schnell huschte ich zum gegenüber liegenden Supermarkt, um die Tickets zu erwerben. Unser Busfahrer hatte sich derweilen aus dem Bus bequemt und die Klappe geöffnet. Glaube aber mal ja niemand, dass er auch nur einen Finger gekrümmt hätte, um uns beim Hineinwuchten unseres Gepäcks in den Bauch des Busses behilflich zu sein. Als ich ihn bat, mir beim schwersten Gepäckstück zu helfen, stemmte er seine Arme in die Hüften und tat gar nichts, schaute nur herausfordernd frech auf mich herab. Ich wuchtete den kiloschweren Trolley also selbst in den Bus und dachte mir, dass der Fahrer - aus welchen Gründen auch immer - wohl nicht so gut auf Touristen zu sprechen sei. Wer weiß, was ihm in seiner beruflichen Praxis schon alles widerfahren war. Na ja, nicht unbedingt ein Grund, so unhöflich zu sein, doch warum sollte man sich nun aufregen? Abhaken. Im Bus hatten wir uns einen Platz ziemlich weit vorne ausgesucht. Ansonsten war er ausschließlich von Griechinnen besetzt. Schließlich rollten wir los. Nach wenigen Minuten bogen wir in eine Straße ein, die von einem Betonmischauto versperrt war. Der Bus hielt an. Viele Minuten verstrichen, nichts geschah. Unser Fahrer tat auch nichts, um darauf aufmerksam zu machen, dass es hier nicht weiterging. So wie es aussah, war der Fahrer des Betonmischers gar nicht in Sicht, wahrscheinlich hatte niemand mitbekommen, dass hier ein Bus auf die Weiterfahrt wartete. Die Zeit verrann. Bis eine jüngere Frau sich erdreistete zu fragen, was denn jetzt sei, sie habe es eilig und wir hätten schon enorme Verspätung. Der Fahrer drehte sich darauf hin zu ihr um und drohte ihr finster, sie solle mal auf die Sprache achten, die sie ihm gegenüber verwende. Die Frau war sichtlich schockiert. Eine andere Frau kam ihr zu Hilfe und meinte, er könne doch mal nachschauen, wo der Fahrer des Botonmischers sei, worauf hin unser Fahrer die Bustür öffnete und sie aufforderte, selbst nachzusehen. Da kam ein wenig Leben in die Bude. Alle Frauen fingen an, auf ihn einzureden, wobei die Situation eher ins Humorvolle gezogen wurde, wofür ich die Griechinnen aufrichtig bewunderte, denn mir war mittlerweile echt der Kamm geschwollen. Nur die Frau, die er zuerst angefahren hatte, stimmte nicht mit ein, sondern schaute ernst und verdrossen vor sich hin. Der Betonmischfahrer kam dann endlich und räumte die Straße, so dass wir passieren konnten. Die Stimmung im Bus war umgeschlagen, die Frauen unterhielten sich lebhaft miteinander, selbst der Fahrer quasselte nun wie ein Wasserfall. In den Außenbezirken Iráklions verließen die meisten Fahrgäste den Bus. Vor der Platía Eleftherías, der Haltestelle, an der wir aussteigen wollten, ging ich nach vorne, und bat den Fahrer, dort für uns anzuhalten. Keine Reaktion. Eine ältere Frau nickte mir zu, und übernahm stattdessen. Wir würden auf jeden Fall dort anhalten, meinte sie. Da hatten wir aber Glück gehabt! Beim Kofferausladen erhielten wir erwartungsgemäß natürlich wieder keine Hilfe. Immerhin hatte er für uns angehalten und uns aussteigen lassen. Ich möchte noch einmal betonen, dass dies ein Einzelfall ist. In der Regel sind die Fahrer hilfsbereite Menschen, die ihren Job gewissenhaft verrichten. Auf der Platía erstanden wir am Kiosk ein Ticket für 0,75 € zum Chanióporta. Ich freute mich sehr auf den Süden, auf die Ruhe, auf Sívas, die Bekannten und Freunde. Um 14.00 Uhr bestiegen wir den Bus nach Míres. Stadtauswärts genau so dichter Verkehr wie zuvor auf der anderen Seite in die Stadt hinein. Der Herbst hatte auch hier Einzug gehalten. Die Weinfelder im Hinterland von Iráklion schillerten in Gelbtönen, wunderschöne Farbkontraste, bekannte Straßen, bekannte Dörfer, durch die ich schon zigmal mit dem Moped gebrettert bin. Die Erinnerung an eine Fahrt, auf der ich förmlich über den Berg geflogen war, von Sívas in die Hauptstadt mit einer kleinen 50 ccm Automatikmaschine, bei der die Blinker nicht gingen und das Licht auch nicht wirklich funktionierte, ebenso wenig wie die Vorderradbremse. In Iráklion angekommen raste ich in Hafennähe auf eine Kreuzung zu, die Ampel sprang auf Rot, ich versuchte zu bremsen, doch der Bremszug riss. Mein Leben zog an mir vorbei, schicksalsergeben raste ich in die Katastrophe. Doch nichts dergleichen geschah. Die anderen Autofahrer waren einfach stehen geblieben, keine Huperei, kein Geschimpfe, keine Beleidigungen, wie man es eher in Deutschland erwartet hätte, denn die Kreter hatten gesehen, dass hier jemand wild gestikulierend das Gefährt nicht mehr unter Kontrolle hatte. Mit den Schuhen versuchte ich zu bremsen, ein Wunder, dass nicht die Funken stoben. Alles war gut gegangen. Im Leben werde ich die Situation nicht vergessen. Unser Bus war mittlerweile schon fast in Agia Varvára, dem höchst gelegenen Ort auf der Strecke, angekommen. Neue Windräder sah ich auf der Nordseite stehen. Sehr klug, denn hier oben pfeift der Wind fast ständig. Auch die neue Straße ab Iráklion ist fast fertig, eine breite Straße, die es ermöglichen wird, in einer halben bis dreiviertel Stunde vom Süden nach Iráklion zu fahren, für die Bevölkerung eine echte Erleichterung. Doch noch muss man sich gedulden, bis die Trasse aus dem Süden heranreicht. Olivenbaumkulturen haben hier längst die Weinfelder abgelöst. Hinter Agia Varvára dann der erste Blick in die Ebene, immer wieder umwerfend von hier oben. Schnell schraubte der Bus sich hinab nach Agii Déka, an Górtis vorbei (das wir dieses Mal wieder nicht besichtigten), um in Míres anzukommen. Von hier nach Sívas ist es nur noch ein Katzensprung. |