Man kann sich durchaus fragen, warum es einen nach so vielen Jahren – bei der landschaftlichen Vielfalt, die Griechenland in seiner Gänze zu bieten hat – ausgerechnet wieder in eine Gegend zieht, die so weit ab liegt, dass die Anfahrt schon mehrere Stunden dauert und lediglich in einem kleinen Dorf an einer EU-Außengrenze endet. Die Antwort ist ganz einfach: Die Naturerlebnisse, die Ruhe und die Stille, die wir an nur einem einzigen Tag, damals im heißen Juli 2013 (bei feuchtschwülen fast 40 Grad, die Luft voller Moskitos), an den beiden Prespaseen fanden, haben uns tiefe Erinnerungen beschert. Der Wunsch, die Gegend erneut zu besuchen, konnte für uns aufgrund der Entfernungen nur im Rahmen eines erweiterten Nordgriechenlandaufenthaltes in Erfüllung gehen. Vor allem war es mir wichtig, eben nicht in einem der lähmenden, moskitoreichen Sommermonate dorthin zu fahren, und so bot sich der Besuch in diesem Jahr perfekt an. Nach unserem Besuch Komotinís in Thrakien müsste man tatsächlich 500 Kilometer zurücklegen, um von Nordostgriechenland in den äußersten Nordwesten zu kommen. Was für ein Stress! Selbst von Vrasná aus, unserem zweiten Stopp, sind es immer noch 300 Kilometer, doch die wollten wir gerne in Kauf nehmen, um uns von der bewaldeten Landschaft mit ihren Wildtieren, den Bergen und Seen bezaubern zu lassen. Am meisten freute ich mich auf die Krauskopfpelikane, die an den Prespaseen im Laufe der letzten Jahrzehnte ihr größtes Brutgebiet weltweit gefunden hatten, nachdem entsprechende Maßnahmen zu ihrem Schutz greifen konnten. Doch das war ein langer Prozess. Als sehr hilfreich dabei erwiesen sich aber auch gerade diese abgeschiedene Lage und der Fischreichtum der Seen, die ihnen einen geeigneten Lebensraum für ihr Brutgeschäft boten. 2013 hatten wir bei unserer Festlandtour unter anderem auch das Feuchtgebiet des Ambrakischen Golfs passiert, das diesen Pelikanen in relativ kurzer Entfernung einen Platz zum Überwintern bietet, nachdem es in der Höhe von Prespa auf 850 Metern im Winter schneereich und so bitterkalt werden kann, dass die Seen zufrieren. Doch am Ende des Winters kehren alle wieder zusammen mit ihren Artgenossen, die in anderen Regionen vorübergehend ein warmes Plätzchen gefunden hatten, zurück. Gerne hätte ich die großen Vögel einmal in ihrem schönsten Federkleid gesehen, wenn der Kehlsack sich knallrot eingefärbt hat. Doch das wird wohl im Februar/März sein, für uns ein wenig zu früh. Im Mai hingegen müssten eine Vielzahl von Küken schon eine ordentliche Größe erreicht haben. Wir freuten uns daher schon auf eine erneute Bootsfahrt hinaus auf den großen Prespasee, um die Vögel aus der Nähe zu beobachten. Manche trauen sich sogar bis an den großen Holzsteg im Dorf Psarádes, um ein paar Fischabfälle von den Fischern abzustauben. Für unser leibliches Wohl sollte ebenfalls gesorgt sein. Schon Wochen vorher freute ich mich auf einen großen Karpfen, eine Forelle oder andere Fische, fangfrisch aus dem See. Sogar endemische Fischarten gibt es in den Seen und deren Zuläufen seit Urgedenken. Diese werden aber sicherlich nicht serviert. Ich hoffte erneut, die wohltuende Ruhe und Stille von damals auf dem See zu finden, Momente des Innenhaltens gepaart mit einem Glücksgefühl der vollkommenen Klarheit über das augenblickliche Hiersein. Vielleicht auch ein wenig Rückbesinnung auf das einfache Leben in der Natur, um zu schauen, wie es uns in der Abgeschiedenheit damit ergehen würde, auch wenn es nur ein paar Tage sein würden. Spaziergänge durch das Dorf und drum herum sowie zum Aussichtpunkt Kap Rotí an einem Ende des Fjords hatten wir uns vorgenommen, in dessen weitgehend windgeschützter Kurve sich die Einwohner von Psarádes einst niedergelassen hatten. Von dort oben hat man eine tolle Sicht auf den Großen Prespasee. Unterwegs könnte man aber auch auf Meeresebene hinabsteigen, um eines der alten Klöster oder verlassenen Einsiedeleien zu besichtigen. Auch unsere Überquerung des Kleinen Prespasees über einen Steg hinüber zur Insel Agios Achílios wollten wir wiederholen und schauen, was sich dort vielleicht verändert hat. Vielleicht könnte man auch weitere Ausflüge unternehmen, z.B. nach Flórina oder zum Bärenrefugium bei Nymféo, das bei unserem ersten Besuch leider geschlossen war. Auf die in Griechenland berühmten Prespabohnen hatten wir es besonders abgesehen: weiße, braune, Augenbohnen und Gigantes. Sie haben einen betörend-intensiven Geschmack, den wir sonst nirgendwo so wiedererlebt haben. Für diese Bohnen hatten wir extra Platz in den Koffern gelassen. Es gab also genug zu tun in den fünf Tagen, für die wir in einem Familienbetrieb in Psarádes eine einfache Unterkunft gebucht hatten. Anreise
Bei unserer Anfahrt über die Autobahn von Vrasná aus geben wir am Anfang ordentlich Zunder, um dann später die Bergwelt langsamer durchfahren zu können. In Florina legen wir ein letztes Päuschen ein und füllen vorsichtshalber den Tank nochmals bis zur Unterkante, bevor wir zur letzten Etappe nach Prespa ansetzen. Uns erwartet eine kurvenreiche Strecke über eine schmale Landstraße, die sich immer länger dahinzieht, mitten durch eine von Wölfen und Bären bewohnte Wildnis. ![]() Wir leben zusammen - Geschwindigkeit runter! ![]() Der Wald ist unser Zuhause - pflegen Sie ihn, indem Sie Ihren Müll in die Mülltonnen werfen. Für die knapp 60 Kilometer, die nun nur noch von vereinzelten Winzweilern unterbrochen wird, benötigten wir bei langsamer Fahrt über anderthalb Stunden, sodass die Schatten bei unserer Ankunft schon länger geworden sind. Was wir uns auf keinen Fall entgehen lassen wollen, ist nach der Fahrt entlang des kleinen Prespasees und der Durchquerung des Landsteges zwischen den beiden Seen ein Aussichtspunkt auf der letzten kleinen Anhöhe, bevor es nach Psarádes hinuntergeht. Der Ausblick von hier oben weitet das Herz. Nichts hat sich verändert seit unserem letzten Besuch, keine neuen Siedlungen, Hotelkomplexe oder sonstige Anlagen sind hinzugekommen. Stattdessen nur der See, in dem sich Wolken und Landschaft spiegeln. Bei jeder Vorbeifahrt werden wir hier anhalten, ein wenig innehalten und die Aussicht genießen.
Ein Gefühl des Wiedererkennens macht sich bei der Einfahrt in Psarádes breit, ebenso auch die Vorfreude auf all das, was uns hier erwarten würde.
![]() Unser Zimmer entpuppt sich als klitzeklein. So winzig hatte ich es mir nicht vorgestellt, insbesondere weil es überhaupt keine Ablagemöglichkeiten hat und man sich an den wenigen vorhandenen Möbelstücken vorbeiquetschen muss, um von A nach B zu gelangen. Am nächsten Tag, so schlägt man uns vor, können wir in ein größeres Zimmer ziehen, was wir gerne annehmen. Für das Abendessen hatte ich mich schon sehr auf einen frischen Fisch gefreut, doch den gibt es leider nicht. „Keine Fangsaison“, lautet die Begründung. Das ist sehr schade, doch es kann ja niemand etwas dafür. Verhungern werden wir jedenfalls nicht, denn anderes Grillgut ist ja reichlich vorhanden. Bei unserem ersten kleinen Abendspaziergang hinunter zu den Stegen betrachten wir einige der eleganten, langgezogenen Fischerboote mit den kleinen Außenbordmotoren, die hier vertäut sind. Auf einem solchen wollen wir an einem der Tage zum Höhepunkt unseres Aufenthaltes wieder hinaus auf den See, um den Pelikanen noch etwas näher zu sein und die Stimmung auf dem See erneut einzufangen, um sie im Herzen mit nach Hause zu nehmen. ![]() Heute Abend ist von den Krausköpfen hier in Ufernähe jedoch nichts zu sehen. Auch sonst keine Vögel. Wahrscheinlich haben sie sich schon in ihre Nachtquartiere zurückgezogen. Stattdessen begleiten uns zwei struppige Hunde, die überall herumschnüffeln und jeden Besucher herzhaft anbellen, um nur kurze Zeit später mit demütigen Blicken etwas vom Teller des Tavernenbesuchers zu erbetteln. ![]() Eine Kuhherde wurde im Laufe des Spätnachmittags hier zum Seeufer getrieben und weidet am Rande des sumpfigen Ausläufers des Fjords. Eine kecke Braunfellige schaut sich die Leute in der Taverne genau an, bevor sie um einen geparkten PKW herumstreift. Ganz schön neugierig, die Dame! Langsam senkt sich die Sonne über dem See und taucht die Landschaft in ein liebliches Licht. Nur von kurzer Dauer ist das Schauspiel, dann umgibt Dunkelheit unsere Taverne. ![]() Nachtaktive Moskitos gibt es zu dieser Jahreszeit keine, was im Gegensatz zu den Sommermonaten wirklich erfreulich ist. Auch so kalt, wie ich es befürchtet hatte, ist es nicht. Und so kann man sich recht lange draußen aufhalten, mindestens, bis die Tavernenfamilie die Lichter löscht, wenn alle Arbeit erledigt ist. Psarádes Dorfrundgang
Für den nächsten Tag haben wir keinen besonderen Plan, außer zunächst einmal ausgedehnt zu frühstücken und dann vielleicht ein wenig im Dorf herumzuspazieren. Zunächst folgen wir dem Weg entlang des Fjords. Es sind nur ein paar Meter, bevor er sich im Nichts verläuft.
Ob die Steingärtchen so angelegt wurden oder ohne Menschenhand entstanden sind?
Diesen abenteuerlichen Zugang zum See haben wir lieber nicht genommen, ...
... sondern diesen, mit einem kleinen Umweg um die Absperrung herum. ![]() Tatsächlich sind außer uns fast gar keine anderen Touristen vor Ort, auch keine Tagestouristen. Fischer sind an diesem Morgen ebenfalls keine unterwegs. Keine Fangsaison heißt natürlich auch keine Fischer, die mit ihren morgendlichen Verrichtungen beschäftigt wären. Die schmalen Fischerboote sind vertäut, viele Stege sind auch ganz leer. ![]() Schade, denn so waren ja beim ersten Besuch hier immer ein paar neugierig-verwegene Pelikane in Ufernähe, weil sie wissen, dass es lecker Fischzeug gibt, ohne dass sie sich selbst die Mühe des Fangens machen müssen. Doch weit und breit sind keine dieser Vögel zu sehen, auch keine Kormorane oder Lachmöwen. Bei der gestrigen Anfahrt war mir schon aufgefallen, dass im Gegensatz zu unserem ersten Besuch, noch keine Störche auf der Landzunge zwischen den beiden Prespaseen nisten, aber vielleicht kommt das ja noch. Damals im Sommer war jeder einzelne Strommast von einem der großen Nester gekrönt. Wer sich aber lautstark bemerkbar macht, sind unzählige Frösche. Direkt neben und unter den Stegen quakt es in allen Tonlagen, ein unablässiges Balzen, was das Zeug hält. Hier ist vielleicht was los! Irgendwie erscheint mir das Dorf dieses Mal um einiges größer als beim ersten Besuch. In meiner Erinnerung standen nur um den Parkplatz herum (dessen Fläche vor einigen Jahrzehnten noch vom See bedeckt war) ein paar Häuser, doch in Wirklichkeit erstrecken sich mehrere Straßenzüge den Hügel entlang nach oben. An einer Dorfstraße wird ein wenig gewerkelt, zwei Männer bessern einige Löcher aus und verlegen die Steine neu. Ansonsten werden uns bei unserem Spaziergang keine anderen Menschen begegnen. Vielleicht aufgrund der Tageszeit? Eventuell ist auch sonst einfach niemand da, weil man erst zum Sommer herkommt? Wer weiß.
![]() Es gibt immer noch etliche Gebäude, die dem Verfall entgegen sehen. Vielleicht sind die Besitzer verstorben und die Kinder von hier weggezogen, ohne jegliches Interesse, so dermaßen begrenzt von Seen und den 2000 Meter hohen Bergen jemals wieder wohnen zu wollen. ![]() In anderen ganz einfachen Unterkünften scheinen Bewohner zu leben. Sicherlich sind Restaurierungen auch sehr teuer, und dann fragt man sich: wofür? Eventuell sind manche der Häuser auch nur in den Sommermonaten bewohnt oder dienen als Lagerräume.
![]() Möglicherweise kommen mittlerweile im Sommer mehr Touristen zum Birdwatching und für die Bootsausflüge hierher. Doch werden sie auch übernachten oder sind dies nicht eher Tagestouristen? Für diesen Fall sind einige Gebäude instandgesetzt worden, und das auf eine sehr schöne und harmonische Art. Auch eine kleine Platía wurde entsprechend gestaltet, die sie umgebenden Häuser ebenfalls renoviert. Im Sommer kann man hier sicherlich sehr nett in einem Café sitzen, die Seele baumeln lassen und Betrachtungen über das Leben in dieser Abgeschiedenheit anstellen.
![]() Unseren Blick hat der örtliche Friedhof mit seiner Kapelle eingefangen, der weiter oberhalb des Dorfes angelegt wurde. Von hier hat man einen extraschönen Blick über Dorf und See, Fjord und Landschaft ringsherum, wie ich finde. Daher verweilen wir ein wenig vor dem Eingang dieses stillen Ortes und stellen uns vor, wo genau sich die Honoratioren im Juni 2018 versammelt hatten, um das sogenannte Prespa-Abkommen über die Namensänderung des ehemaligen FYROM zu unterzeichnen, das sich mit Zustimmung des griechischen Parlaments fortan Nordmazedanonien nennen durfte. Psarádes bot sich aufgrund seiner Lage im Dreiländereck geradezu dafür an. Wie aus dem Nichts versperrt uns bei unserem Abstieg hinunter zum Seeufer die braune Kuh vom gestrigen Abend die Straße und beäugt uns eingehend. Sie ist ganz gut an dem einen Horn zu erkennen, das ihr leider abgebrochen ist. Doch sie scheint sich daran nicht zu stören, mit anderthalb Hörnern lebt es sich offensichtlich auch ganz gut. ![]() Später wird sie von einem Ladenbesitzer am Platz erwischt, als sie sich mal genauer bei den Geschenkartikeln umschaut. Ihren Verweis nimmt sie gelassen und rückt ein paar Meter zur Seite. Vielleicht ergibt sich später nochmal eine Gelegenheit einer genaueren Untersuchung der angebotenen Waren. Unser neues Zimmer steht bei unserer Rückkehr für unseren Umzug bereit. Dort hatte bis heute Morgen ein älteres griechisch-australisches Paar gewohnt. Der männliche Part stammt aus Psarádes, hatte er uns erzählt. Eigentlich hätte er schon noch gerne ein wenig bleiben wollen, doch da gab es wohl Protest. Schade für ihn, aber gut für uns, denn so können wir uns schließlich etwas besser ausdehnen, besorgen noch ein paar Gegenstände für unsere Bequemlichkeit und sind zufrieden. Nach dem Umzug fällt uns absolut nichts mehr ein, was wir heute noch unternehmen könnten. Also ziehen wir wieder in die Taverne und lassen den Tag dort ausklingen. Sehr aufgefallen ist mir, dass wir den ganzen Tag über gar keine Pelikane gesehen haben. Ich frage einen etwas wortkargen Mann, der vielleicht auch der Tavernenwirt ist und heute Morgen hingebungsvoll einen großen Eimer Kartoffeln geschält hat, nach den Vögeln. Sie seien auf dem See, lautet die einsilbige Antwort. Nun ja, eine Bewandtnis wird das schon haben. Aber irgendwie schade, denn ich hatte mich so sehr auf den Anblick der Vögel auch hier in Ufernähe gefreut. Wenn sie auf dem See sind und nicht zu uns kommen, dann werden wir bald zu ihnen fahren. Ein guter Anlass, jetzt nach einer Bootstour zu fragen. Als ich meine Wünsche vortrage, schaut er mich zunächst etwas verhalten an. Ich möchte nämlich nicht mit einem der schnellen Sportboote auf den See, sondern – wie 2013 – mit einem Fischerboot, wenn es möglich ist. Das sei nicht mehr erlaubt, meint er, doch er wird mal schauen, was er ermöglichen kann. Er müsse einen Freund kontaktieren und würde uns Bescheid geben. Das wird schon noch, denke ich mir. Wie soll man sonst die Stille auf dem See und alles andere, was seine Besonderheit ausmacht, einfangen, wenn man schnell darüber hinwegfährt? Wahrscheinlich wird auch bei eine solchen Tour mal der Motor ausgestellt, doch der Sitz in einem der länglichen Fischerboote, direkt über der Wasseroberfläche, eröffnet während der Fahrt eine ganz andere Perspektive. Man fühlt sich auf Augenhöhe mit der umgebenden Natur und wird langsam dahinziehend ein Teil davon. Einige Zeit später erhalten wir die Auskunft, dass eine Fahrt in einem solchen Boot wohl möglich sei, doch der genaue Tag sei wetterabhängig. Bei Wind würde er mit uns keinesfalls hinausfahren, das sei zu gefährlich. Morgen ginge es nicht, meint er, da sei nämlich schon viel Wind vorausgesagt (was sich schließlich auch bewahrheitet), aber man könnte mal den übernächsten Tag ins Auge fassen. Ich mache mir keine Sorgen, denn wir haben ja noch etwas Zeit hier eingeplant, um eine Ausfahrt hinzubekommen. Und rudern würde er uns übrigens auch nicht, nur mit Motor!! Ja stimmt, davon war ich auch ausgegangen, hatte ich nur nicht erwähnt. Wir sind ja schließlich nicht in Venedig! Daraufhin werden wir noch mit Druckerzeugnissen über den See und die historischen Sehenswürdigkeiten versorgt. Während der Ausfahrt auf den See gibt es im Fjord nämlich auch verschiedene verlassene Einsiedeleien und mittelalterliche Felsmalereien zu besichtigen. Falls es sich ergibt, können wir ja an Land gehen und uns ein wenig umschauen, und wenn nicht, ist es auch gut. Wir werden sehen. Insel Agios Achílios
Wir haben uns schon fast daran gewöhnt, dass wir an Land keine Vögel zu sehen bekommen. Aber ein wenig traurig bin ich darüber schon. Da unsere Bootsfahrt heute ja nicht stattfinden kann, beschließen wir, über einen Steg durch den Kleinen Prespasee zur Insel Agios Achílios zu spazieren und dort ein wenig herumzuschlendern. Vielleicht bekommen wir dort ja Pelikane vor die Kameralinse. Allerdings müssen wir das Auto zum Steg bewegen, das man an seinem diesseitigen Ende abstellen kann. Zu Fuß wäre es uns ein wenig zu weit. So wie vor 11 Jahren bieten auch hier Bohnenverkäufer ihre Waren von ihrem Fahrzeug aus feil. Weil wir schon damals von der Qualität der getrockneten Bohnen begeistert waren, schlagen wir auch dieses Mal ordentlich zu. Von jeder Sorte wandern ein paar Tüten in unseren Besitz. Ich freue mich schon auf unsere Gigantes aus dem Backofen und den Augenbohnensalat mit roten Zwiebeln und Balsamico-Essig. Vielleicht esse ich heute Abend Bohnen, falls diese im Angebot sind. Nachdem wir die Ware im Kofferraum verstaut haben, betreten wir den metallenen Steg, hinüber zur Insel. ![]() So tief ist der Kleine Prespasee gar nicht, nur bis zu 8 Meter. Und dies wahrscheinlich eher in der Mitte des Sees. Der Steg jedoch ist in Ufernähe verankert, direkt neben einem Schilfgürtel. Haubentaucher sind in diesem fischreichen Gewässer im Paradies. ![]() Größere Vögel sehen wir leider keine. Die Pelikane werden sicherlich eher auf dem Großen Prespasee sein. Vielleicht gibt es da für sie bessere Fische und vor allem noch weniger Menschen. Oder sie sind blickgeschützt im Schilf versteckt, das hier üppig sprießt. ![]() Die Insel Agios Achílios ist bei Touristen sehr beliebt. Einige begegnen uns unterwegs auf dem Steg, haben ihre Besichtigung schon hinter sich. Ganz schön heiß ist es um die Mittagszeit geworden, fast schon sommerlich. Bei unserer Ankunft auf der Insel fällt mir direkt auf, dass einige der damaligen Ruinen instand gesetzt wurden. Nichts wirkt jedoch künstlich. Das kleine Dorf ist ursprünglich geblieben, so wirkt es jedenfalls. Idyllisches Landleben, von Hektik keine Spur.
![]() Man fragt sich dann schon, wie man so weit vom Schuss wirklich leben kann, insbesondere in der unwirtlichen Jahreszeit. Ob es dann überhaupt Einwohner hier gibt? Von Psarádes aus ist es schon eine ziemliche Gurkerei über die Berge nach Flórina, um sich mit den Dingen des täglichen Bedarfs einzudecken. Doch von der Insel aus erscheint es noch umständlicher. Doch wer hier wohnt, hat sicherlich ein paar gute Tricks auf Lager, um sich das Leben angenehm zu machen. Wir gehen jedoch noch nicht ins Dorf, sondern folgen dem schmalen Weg geradeaus. ![]() Nach wenigen Minuten schon kommt die Ruine einer mittelalterlichen Basilika (11. Jahrhundert) am Seeufer in unser Blickfeld. Schon imposant das Gemäuer. Es wurde seit unserem letzten Besuch noch weiter hergerichtet und ist wahrscheinlich der Hauptanziehungspunkt für Touristen. So auch für eine griechische Frauengruppe, deren Mitglieder sich laut herumschreiend verständigen. Zu hören sind sie nicht nur vor und innerhalb des Gemäuers, sondern auch schon von weiter her. Nicht dass sich noch jemand verläuft!
Weiter führt ein schmaler Wiesenpfad einen kleinen Hügel hinauf. Doch Achtung: der Weg ist mit stark duftenden, frisch ausgebrachten Kuh-Tretminen gepflastert. ![]() Im Gebüsch entdecken wir riesige Pilze mit flachem Hut. Ob die genießbar sind? Schatten finden wir unter ein paar Bäumchen, unter denen wir immer wieder innehalten und den Blick rundum in die grüne Bergwelt schweifen lassen.
![]() Blick in einen Teil des Feuchtgebiets: vor uns die sumpfigen Ausläufer des Kleinen Prespasees, dahinter ein ganz schmales blaues Band des Großen Prespasees; am Fuß des Hügels links ist eine Straße erkennbar, die zum Aussichtspunkt führt, an dem wir auf der Hinfahrt Halt gemacht haben. ![]() Auf der Insel gäbe es noch mehr zu besichtigen, doch irgendwie fehlt uns die Lust dazu. Wir waren ja schon einmal hier. Und so schlendern wir einfach immer nur weiter, über eine Wiese, und freuen uns auf ein Kaltgetränk in der Dorftaverne. Dort angekommen hat die lärmende Gruppe von der Basilikaruine schon Platz genommen. Allerdings im Innenbereich, sodass wir uns für die rustikalen Holzbänke im kleinen Hof, vor dem Gebäude, entscheiden. Es gibt selbst gemachte, unglaublich erfrischende Zitronenlimonade. Am Nachbartisch sitzt ein deutsches Paar, Neurentner wie wir, grundsätzlich mit Camper und hier mit Rädern unterwegs. Es ergibt sich ein sehr netter Austausch über das, was wir hier erfahren haben, über das Reisen insgesamt und die Freude, endlich Zeit für all das zu haben, was wir über die Jahrzehnte der Berufstätigkeit eben nicht erleben konnten. Nach der sehr sättigenden zweiten Limonade machen wir uns dann langsam auch wieder auf den Weg zurück. Ein Radfahrer brettert hinter uns her und überholt. Das macht sicherlich Spaß auf dem schmalen Steg, dessen Teile alle paar Meter durch kleine „Metallbrücken“ miteinander verbunden sind. Viel zu schnell ist das Ufer wieder erreicht und wir sitzen im Auto, fragen uns, was wir jetzt unternehmen könnten. Zum nahe gelegenen Aussichtspunkt fahren und dort ein wenig die Aussicht genießen, fällt uns ein. Dort, wo wir bei der Hinfahrt schon vorbeigekommen sind. Der See erscheint je nach Tageszeit und Bewölkung immer wieder anders. Am schönsten finde ich ihn, wenn sich Wolken wie in einem impressionistischen Gemälde darin spiegeln. ![]() Der weitaus größte Teil des Kleinen Sees gehört zu Griechenland und nur ein Zipfel zu Albanien. Beim Großen Prespasee ist es anders. Zu Griechenland gehören nur der Fjord bei Psarádes, ein Stück links davon sowie der ein bis zwei Kilometer davor liegenden Teil bis zum rechten Ufer. Auch der albanische Teil ist nicht größer. Zu Nordmazedonien gehört der weitaus größte Bereich des Sees, mehr als der griechische und der albanische zusammengenommen. Doch das spielt keine Rolle, außer dass man eben nicht von Psarádes aus hinüber darf. Das würde sich natürlich schlagartig ändern, wenn diese beiden Länder auch in die EU aufgenommen würden. Dann könnte der See touristisch ganz anders erschlossen werden. Ob das den Pelikanen gut bekäme, wenn ihr Lebensraum sich durch die wahrscheinlich dann in vermehrter Zahl fahrenden Ausflugsboote noch mehr einschränken würde? Heute jedenfalls haben wir keinen einzigen Pelikan gesehen. Ihre Brutinseln liegen zwar sehr versteckt in der Schilflandschaft, doch kein einziger Vogel war in der Luft oder auf dem Wasser zu erkennen. Was ist nur passiert? Da ich kein Wissen über das Verhalten der Vögel habe, kann ich mir das nicht erklären. Vielleicht kommen ja später doch noch welche zum Ufer in Psarádes. Agios Germanós Da wir schon mal mit dem Auto unterwegs sind, bietet sich ein Besuch in Agios Germanós an, das etwa 7 km vom See entfernt liegt, also nicht direkt am Ufer, sondern an einer Steigung auf über 1.000 Meter Höhe. Der Ort ist auch größer als Psarádes und hat eine breiter gefächerte Infrastruktur. Mal schauen, was wir hier noch besichtigen können. An einer ansprechenden Platía vorbei fahren wir noch ein kleines Stück, bevor wir das Auto am Straßenrand abstellen. Wir beschließen, dem Dorfverlauf bergan zu folgen, an einem Wasserlauf vorbei, der durch das Dorf fließt. In diesem Flüsschen soll die geschützte Prespa-Forelle leben. Schön grün ist es hier. Aber nirgendwo ist eine Menschenseele an diesem Nachmittag unterwegs. Wo sind die Leute nur alle?
![]() In einem Reiseführer von 2001 lese ich von einem Besuch in einer „Geisterstadt“. Davon kann heute keine Rede mehr sein. Im Gegensatz zu Psarádes scheinen die Häuser hier alle instandgesetzt worden zu sein. Verschiedene Herrenhäuser säumen unseren Weg und deuten auf eine wohlhabende Vergangenheit hin. Mindestens seit dem 10. Jahrhundert war der Ort besiedelt. Die älteste Kirche stammt aus jenem Jahrhundert und war Namensgeberin des Dorfes. Laut Wikipedia haben hier Anfang des letzten Jahrhunderts weit über 1.500 Einwohner gelebt, im Jahr 1940 sogar einmal knapp 2.200. Ein steter und drastischer Rückgang hatte sicherlich mit der Besiedlung und dem späteren Wegzug verschiedener Bevölkerungsgruppen der Umgebung, auch jenseits der heutigen Grenzen, zu tun, heutzutage aber sicherlich eher mit fehlenden Arbeits- und Entwicklungsmöglichkeiten und den Anforderungen gerade der jungen Generation an ein modernes Leben. Laut Volkszählung von 2021 sind gerade einmal 161 Menschen im Dorf übrig geblieben. Nach einer Viertelstunde beenden wir unseren Rundgang. Die geöffnete Taverne auf der Platía hat es mir schon bei der Durchfahrt angetan. Das Gebäude ist gemütlich und alt, wurde schon um 1900 herum errichtet. Nette Musik empfängt uns und ein freundlicher Wirt. Sogar einer der Nebentische im Hof ist besetzt. Wir bestellen eine Kleinigkeit zu Essen, prompt strecken sich zwei Hunde neben unserem Tisch aus. Sie geben zwar vor, schläfrig zu sein und sich einfach nur ausruhen zu wollen. Doch hin und wieder blitzt ein Auge nach oben, ob nicht doch was vom Tisch abfällt. In dieser ruhigen und gediegenen Atmosphäre gefällt es uns richtig gut. Daher bleiben wir etwas länger, denn das Ausflugskontingent hat sich für heute erschöpft. ![]() Am frühen Abend kehren wir wieder nach Psarádes zurück. Schade, dass wir im Zimmer kein griechisches TV schauen können (dafür gibt es albanisches und nordmazedonisches); da wir auch kein WLAN für das Internet (Achtung: Dreiländereck mit EU-Roaming-Außengrenze!) und auch keine Musikquellen haben, wird uns langsam ein wenig langweilig. Wir hängen in der menschenleeren Taverne herum, trinken Kaffee, schlendern erneut zum Steg hinunter (keine Vögel), bewundern die schlanken Boote und freuen uns auf morgen, denn dann werden wir wahrscheinlich hinausfahren. Laut Wetterbericht soll es nämlich recht windstill werden. Verabredet sind wir für 11 Uhr. Vorfreude macht sich breit. Als die Sonne langsam untergeht, unternehmen wir noch einen kleinen Spaziergang zum südlichen Ende des Dorfes hinaus. Ein Feldweg führt nach rechts um die Kurve des sumpfigen See-Endes herum, an einer leeren Kuhweide vorbei. Eine friedliche, dörfliche Stille hat sich am Abend breit breitgemacht, wobei es tagsüber auch nicht lebhafter zugeht. Man ist hier wirklich an einem Ende angekommen, nicht nur landschaftlich. Ich kenne das Gefühl von anderen Reisen, wenn man plötzlich in Ermangelung von Entertainmentmöglichkeiten sehr auf sich selbst zurückgeworfen ist. Es ist nicht immer angenehm. Hier kommt hinzu, dass es einfach nirgendwohin mehr weitergeht. Eingekeilt zwischen hohen Bergen und begrenzt vom Wasser käme man ohne Auto genau nirgendwo mehr hin. Ein Gefühl, uns am „Rand der Welt“ zu befinden, hat sich bei uns breit gemacht. Wer hier leben möchte, muss dafür echt gemacht sein. Auch wenn das Farbspiel des Abendlichtes uns natürlich bezaubert.
![]() Immer noch unausgelastet nach dem kleinen Spaziergang und mit einem zu frühen Abendessen, versuchen wir, schon zeitig etwas zu schlafen. Tatsächlich war außer uns nur eine einzige andere Paréa in der Taverne. Ein bulgarisches Nummernschild klebt an ihrem Auto. Leider ist ihre Gruppe recht geschlossen, sonst hätte man sich ein wenig austauschen können. Doch die Signale sind eindeutig. Später in der Nacht beschließen wir, im Mondschein einen Spaziergang durch die Dorfstraßen zu unternehmen. Uns erwarten bereits die beiden Hunde, die unbedingt mitwollen. Sie veranstalten einen Höllenlärm, als wir vorsichtig vom Zimmer hinunter zur Straße schleichen, um niemanden aufzuwecken. Sie wirken topfit und sehr neugierig, springen über Zäune, schnüffeln überall herum, bellen hin und wieder, laufen uns zwischen den Beinen herum und sind offensichtlich guter Dinge, als ob sie sich über diese spontane Abwechslung freuen würden. Wir folgen der Dorfstraße so weit die Straßenbeleuchtung reicht. Dann kehren wir wieder um. Nicht dass da noch irgendwo ein Bär auf uns wartet. Aber bei dem Getöse der Hunde hätte der sich bestimmt längst davon gemacht. Bootsausflug auf den Großen Prespasee Schon recht früh sitzen wir wieder in der Taverne beim Frühstück, während unser Bootskapitän in spe an einem der anderen Tische seine Kartoffeln pellt. Er bestätigt unseren Ausflug, und tatsächlich regt sich kein Lüftchen. Wahrscheinlich wird es noch ein wenig wärmer, als es gestern schon war. Perfekt für unsere Unternehmung. Die Zeit bis dahin vertrödeln wir mit einem ausgedehnten Mahl und viel Kaffee. ![]() Blick von der Frühstücksterrasse Eine andere Paréa hat sich heute dazugesellt. Es sind zwei Polizisten, und wir bilden uns ein, dass sie nicht zufällig hier sitzen. Vielleicht schauen sie, ob mit unserem Ausflug in dem kleinen Boot alles klar geht. Vielleicht sind sie auch nur so da. Endlich geht es los. Wir nehmen Platz in dem schaukelnden Bötchen. Eine Decke liegt über einem Brett, der Bootsführer sitzt ganz hinten am Steuer. Und schon gleiten wir langsam hinaus. Neben uns ist noch eine weitere Gruppe losgefahren, allerdings in einem der größeren Motorboote schneller unterwegs. In diesem Augenblick bin ich sehr dankbar, dass unser Kapitän es ermöglicht hat, unseren Ausflug nach unserem Gusto zu gestalten. Später erfahren wir noch, dass die andere Ausflugsgesellschaft ganz schön neidisch auf uns war, als sie uns in dem kleinen Boot dahintuckern sah. Es wäre schön, wenn man diese Möglichkeit allen eröffnen könnte, denn das Erlebnis ist so doch ungleich intensiver. Langsam gleiten wir am linken Fjordufer dahin, nähern uns einigen Sehenswürdigkeiten. Es sind Heiligendarstellungen, die vor einigen Jahrhunderten, als das Wasser des Sees noch um einige Meter höher stand, dort auf den Stein gemalt wurden. Ganz nah passieren wir sie. Kaum vorstellbar, wie heilige Männer hier fernab jeglicher Zivilisation ihr Überleben bewerkstelligten und sich dabei auch noch gestalterisch verewigten.
![]() Auch verlassene Klöster und Einsiedeleien könnten besichtigt werden. Die Wänder im Innern sollen von etlichen gut erhaltenen Ikonen geschmückt sein. Doch unser Guide rät davon ab, an Land zu gehen. Zu dieser Jahreszeit böte sich das nicht an. Ich hätte heute eher auch weniger Lust zu einer derartigen Besichtigung. Mich interessiert, wo die Vögel sind. ![]() Am Ende des Fjords thront über der Landspitze das Kap Rotí mit seinem hölzernen Aussichtspunkt. Schon bei unserem ersten Bootsausflug vor elf Jahren waren wir darauf hingewiesen worden, dass hier manchmal Bären aus den Bergen herkämen. Auch heute wird mir das nochmals bestätigt. Ich habe in der Kürze unseres Aufenthaltes keine Zeit, mich darauf einstellen zu können. So wagemutig bin ich dann doch nicht, den im Internet beworbenen Spaziergang zum Kap zu wagen. Mit den großen Wildtieren zu leben und zu wissen, wie man sich in der Wildnis verhält, dazu bräuchten wir für ein gutes Gefühl wohl eine entsprechende Begleitung oder zumindest eine Verhaltensanleitung. ![]() Nach der Umrundung des Kaps gelangen wir auf offenes Wasser hinaus. Dennoch bleiben wir zunächst in der Nähe des Steilufers, an dessen Verfärbungen man gut erkennen kann, dass der Pegel des Sees vor einigen Jahrzehnten noch etliche Meter höher stand. Nicht nur die hohe Wasserentnahme für die Landwirtschaft bedingte die Abnahme des Wasserstandes, sondern auch die Dürre der vergangenen Jahre, mit weniger Schnee im Winter und Schmelzwasser im Frühjahr, führten zu Schwankungen in der unmittelbaren Vergangenheit. So erzählt es uns der Bootsführer. ![]() Als ich meine Hand kurz ins Wasser tauche, bin ich überrascht, wie warm es ist. Wohl noch gedanklich mit dem Schnee in den Bergen beschäftigt, hatte ich es eiskalt erwartet. Die recht warme Temperatur sei normal für diese Jahreszeit, erfahren wir. Fast an derselben Stelle wie bei unserer ersten Fahrt erblicken wir einen Fuchs, der uns aus seiner Deckung heraus längst erspäht hat. ![]() Wo sind nun die Pelikane? Auf dem See, hatte man uns doch am ersten Tag erzählt. Aber hier sehe ich zunächst gar keine Vögel. Im Winter, vor zwei Jahren, seien viele von ihnen an einem Virus gestorben, lüftet unser Bootsführer kurz und knapp endlich das Geheimnis, ohne weitere Erläuterungen. Bis dahin stellte diese Brutkolonie am Prespasee eine weltweite Hoffnung auf die Erhaltung der Art schlechthin dar. Kleinere Kolonien gibt es auch an anderen Stellen in der Welt, die abgelegen genug sind und den anspruchsvollen Vögeln entsprechende Voraussetzungen bieten, die sie zur Brut benötigen. Diese findet man insbesondere in menschenarmen Gegenden Südosteuropas, einige davon auch in anderen Feuchtgebieten Griechenlands. Die Kolonie am Prespasee jedoch ist die mit Abstand größte weltweit! Sie ist in den letzten Jahrzehnten, in denen sie streng geschützt wurde, stetig gewachsen, auf einige hundert Einzeltiere und 1.400 Brutpaare. In den 1960er Jahren waren es noch nicht einmal einhundert. Einen sehr großen Verdienst beim Schutz der seltenen Vögel hat die SPP (Society for the Protection of Prespa), die nach eigenem Bekunden genau zu diesem Zweck gegründet worden war, deren Tätigkeitsfeld sich jedoch erweitert hat. Es bedurfte zeitintensiver Mühen der Aufklärung und eine wachsende Einsicht der Bewohner der Seeufer, dass Mensch und Tier nebeneinander existieren können, ohne dass einer dem anderen etwas wegnimmt. Ganz im Gegenteil: Der Besuch der Pelikane durch Touristen bescherte dem einen oder anderen Bewohner der umliegenden Dörfer ein Zubrot zu anderen Einnahmen, wie denen aus der Fischerei. Diese Jahrzehnte währenden Anstrengungen des intensiven Artenschutzes sollten nun einen solchen Dämpfer erfahren haben? Weggewischt in wenigen Monaten? Mein Verstand weigert sich, das zu glauben. ![]() Blick zum nordmazedonischen Ufer und der Schlangeninsel Golemgrad Jetzt beschreiben wir eine große Kurve und erkennen auch die Bojen, die mitten durch den See gelegt wurden, um die Grenzen zu den Nachbarstaaten anzuzeigen. Wunderschön ist es hier auf dem Wasser. Jede Wendung mit dem Boot lässt den See und die Umgebung in einem anderen Licht erscheinen: mal dunkler, mal heller bis hin zum blendenden Gegenlicht. Doch wo damals viele der großen Vögel dahinsegelten, herrscht heute gähnende Leere. ![]() Blick zum albanischen Ufer, auch hier keine Pelikane in Sicht Unser Kapitän, der uns an Land etwas schroff erschien, begegnet uns auf dem Wasser ganz anders. Auskunftsfreudig erklärt er uns jedes Detail, nach dem wir fragen, und ermuntert uns ihm mitzuteilen, wann er für Fotos anhalten soll. Allein die langsame Fahrt über die Wasseroberfläche ist mir schon ein großer Genuss. Man versteht, wie Menschen, die in der Natur, insbesondere auf Seen und Meeren arbeiten, nicht mehr davon loskommen, wie sehr die umgebende Natur allein auf dem Wasser die Seele beeinflusst. Schließlich gelangen wir zu dem kleinen Landvorsprung, der auch damals schon eine Lieblingsstelle für verschiedene Wasservögel wie Reiher und Kormorane, aber auch für Pelikane zu sein schien. Endlich bekommen wir einige dieser so wunderschönen großen Vögel zu Gesicht.
![]() Rosapelikan mit makellos weißem Gefieder Als sie sich bei unserer Vorbeifahrt erheben, ihre dunklen Federspitzen dabei anmutig in die Luft recken, den Körper würdevoll gerade haltend, da erkenne ich, wie sehr sich dieser Ausflug für mich in die absolute Pampa gelohnt hat. Genau dafür bin ich hierher gekommen. Nur ein paar Meter weiter landen sie wieder und schaukeln auf dem Wasser in ihrem hellen Federkleid. Ich bin sehr froh, dass alle an Bord gerade jetzt nicht so gesprächig sind, um diesen absoluten Zustand aufzunehmen, etwas, das mich mit den Tiefen der Welt verbindet. Vielleicht liegt es daran, dass Pelikane zu den ältesten Vögeln des Planeten gehören, und diese ihr Zuhause auf einem der ältesten Seen desselben gefunden haben. Nach unserer Reise erfahre ich bei meinen Recherchen, dass ein europaweit signifikanter Vogelgrippeausbruch im noch winterlichen Frühjahr 2022 innerhalb nur weniger Wochen fast die gesamte Kolonie dahingerafft hat. Julian Hoffman, Naturforscher und Schriftsteller, der seit zwanzig Jahren hier am See lebt, hat das Grauen aus nächster Nähe erlebt. In seinem Essay The Spirit of the Wetlands beschreibt er, was sich damals zugetragen hat, wie er Zeuge der drastischen, unaufhaltsamen Dezimierung einer uralten, vom Aussterben bedrohten Art wurde, aber auch, wie sich die Menschen hier am See, Behörden und Institutionen zusammentaten, um das Allerschlimmste zu verhindern. Es ist ein so ergreifender Bericht über das Unheil, das über alle hereinbrach, dass man beim Lesen förmlich miterleben kann, wie es den Beteiligten ergangen ist. Doch er geht noch darüber hinaus, gibt Interviews und eigene Gedanken zur Verbreitung der Vogelgrippe, deren immer stärker und bedrohlicher werdende Entwicklung wieder und verweist auch auf Tausende von anderen Vögeln anderer Arten, die bei diesem Ausbruch 2022 in weiteren Ländern Opfer der Seuche wurden. Doch diese stehen (noch) nicht auf der Roten Liste. Anders bei diesen Pelikanen, von denen es vor dem Krankheitsausbruch weltweit schätzungsweise nur noch maximal 20.000 Exemplare (Kapitel: „Status“) gab: „Und dazu gehört im Spätwinter und Frühjahr 2022 der endgültige Tod von 2.286 Krauskopfpelikanen in dreizehn Feuchtgebieten Griechenlands – 1.734 davon allein in der Prespa-Kolonie - ...“ (aus der deutschen Übersetzung des o.g. Essays) Nun wundert es mich nicht, dass über dem Ort auch heute noch, nur zwei Jahre später, eine blasse Traurigkeit liegt, man über den Tod der mittlerweile respektierten Lebewesen nicht gerne spricht. Wie könnte man auch nicht erschüttert sein, gerade wenn man so nahe mit ihnen lebt und ihr Sterben mit ansehen musste. Auch dem Ausflugsgeschäft wird die Dezimierung der Vögel über die Zeit abträglich sein, denn viele Touristen kommen extra für eine Bootsfahrt über den See hierher, um die seltenen Vögel zu sehen. Als Zugvögel kehren die hier geborenen Pelikane immer wieder zu den Prespaseen zurück. Vielleicht ist genau das auch ihr Untergang, wenn sie dicht gedrängt auf den Brutinseln den Tod durch ein winziges Virus finden. Ob es hier je wieder eine solche Fülle von brütenden Krauskopfpelikanen gibt, kann bezweifelt werden, denn dieses Virus ist in der Welt und wird bleiben, so wie SARS-CoV 2 auch nicht mehr verschwinden wird. Waren Ausbrüche der Vogelgrippe mit nur wenigen Todesfällen in vorherigen Jahren eher auf die kalten Wintermonate beschränkt, so sind die mittlerweile veränderten, hochpatogenen Viren jetzt ganzjährig nachweisbar. Mutationen sind mittlerweile sogar auf Säugetiere (Kühe) übergesprungen, vielleicht bald in größerem Ausmaß und krankmachender auch auf den Menschen? Ich hoffe inständig, dass sich – wie auch immer – die Zahl der hier brütenden Pelikane wieder vergrößert. Vielleicht hat dieser schwere Ausbruch der Vogelgrippe dazu geführt, dass die überlebenden Pelikane und deren Nachkommen jetzt genügend Antigene haben, die sie resistent haben werden lassen. Das ist aber nur der unwissenschaftliche Wunsch von jemandem, der die Hoffnung nicht aufgeben will. Der Besuch hier am Prespasee hat mir jenseits eines bloßen kognitiven Verständnisses ein abgrundtief trauriges Nachempfinden dafür vermittelt, was es bedeutet, wenn eine Art unwiderruflich verschwindet. Denn damit geht auch ein Teil von uns allen, wenn man versteht, dass Menschen und Pelikane so wie alle Lebewesen Teil derselben Natur sind. Diesen Gedanken von Julians Essay teile ich zutiefst. ![]() Vielleicht einer der Letzten seiner Art? Update durch Julian Hoffman, Anfang 2025: Entgegen den schlimmsten Befürchtungen, insbesondere im ersten Jahr nach dem verheerenden Ausbruch der Vogelgrippe unter den Krauskopfpelikanen, hat sich die Anzahl der Brutpaare wieder erheblich vermehrt. Weitere Dezimierungen in der Population hat es nicht gegeben. Es sieht so aus, als ob Einzeltiere, die bis dahin nicht gebrütet hatten, die freien Nistplätze nun als Brutpaare nutzen konnten. In den letzten beiden Brutzeiträumen waren es doch wieder 600!! Paare, was insbesondere auf die gelungenen Maßnahmen zum Artenschutz der letzten Jahrzehnte zurückzuführen ist. Man nimmt an, dass die Kolonie sich stabilisiert hat und die Anzahl der Tiere in den nächsten Jahren wieder steigen wird. Was für erfreuliche Nachrichten! In Anbetracht einer für die nächsten Tage angekündigten Regenwand und der Bescheidenheit unserer Unterkunft, bar gewohnter Annehmlichkeiten oder Unterhaltung, des etwas wortkargen Umgangs mit uns und dadurch auch nur beschränkten Möglichkeiten des Austauschs sowie keiner weiteren Besuchsziele, beschließen wir, kurzfristig abzureisen und nach Kastoriá zu fahren. Der Ort liegt ebenfalls an einem See, jedoch nicht so abgelegen, und ist in etwas über einer Stunde erreichbar. |