Wenn ich meinen Blick nach innen richte, fühle ich wieder kitzelnde Sonnenstrahlen auf meinen Armen, atme den Duft des Salbeis, sehe das flirrende Silbrig-Grün der Olivenbäume, spüre eine kaum wahrnehmbare Brise am Strand von Kalamáki. Dort sitze ich, bei den Felsen, wo Kalamáki auf Kommós trifft. Das Meer präsentiert sich heute eher ausgeglichen. Nur wenige Besucher haben sich bisher eingefunden. Jemand hat sich in der Nähe auf seinem Handtuch niedergelassen. Er bietet ein Stück Gurke an und geht darauf hin ins Wasser, zum Glück nur auf ein Bad. Es ist Herbst, fast schon Winter. Schon kann man erahnen, wie verwaist der Strand dann sein wird. Hin und wieder kurven ein paar motorradbegeisterte Jugendliche aus den umliegenden Dörfern herum. Das Strandgut ist hier eher spärlich.
In Kalamáki sind kleinere Kieselsteine in allen Farben zu finden. Noch im Wasser leuchten sie, getrocknet sehen sie dann eher blass aus. Sand gleitet durch meine Finger. Trockener, warmer Sand. Er rinnt auf meine Beine, wo er sich zu kleinen Bergen auftürmt, um dann langsam wieder an seinen Ursprungsort zu gleiten. Den Blick auf Paximádi gerichtet sehe ich aus dem Augenwinkel ein Boot, das sich langsam, aber stetig, nach links in mein Gesichtsfeld schiebt. Fischer oder einfach nur eine kleine Paréa, die mal nach Matála fährt? Ach, Mátala. So touristisch hässlich, überfrachtet mit Kitsch und Tand. Und trotzdem ist es gerade dieser Ort, an dem ich oft Ruhe finde. Der Blick auf den Höhlenfels, am liebsten von der gegenüberliegenden Seite der Bucht aus. Mit einem wohltuenden Getränk in der Hand und lieben Menschen um mich herum. Ein kurzer Gang den Felsen hinunter zum Wasser, vorbei an „Mátala Gorge“, die Steine glitschig, zu den kleinen Tümpeln, die sich in Steinvertiefungen gebildet haben. Wieder zurück, weiter oberhalb mit dem besseren Ausblick. Das gelblich-erwärmende Leuchten des Höhlen-Gesteins in der Nachmittagssonne. Diese bizarre Form des Felsens, die Einkerbungen.
Sich immer wieder satt sehen, über den Strand schauen, die ineinander verbauten Betonklötze und die Hafenmauer mit der Schrift. Alles so vertraut. Die wenigen Fischer sind gerade beim Netze-Ausbessern, bereiten sich auf die frühabendliche Ausfahrt vor. Leise Musik im Hintergrund, heute darf es etwas aus der guten alten Rock-Zeit sein. Stones? Erinnerungen an die Zeit der berühmten Rockbar, noch mit Stélios. Und wie wir so oft des Nachts sehr hungrig bei Nássos zu einer Stärkung eingefallen sind. Wie oft feierte die Belegschaft gerade eine Party, „Madame, was darf`s sein? „Jawohl, Madame“, „Sofort, Madame“. Immer freundlich, gut gelaunt, ausgeglichen. Der Rückweg zu Fuß von Mátala Richtung Pitsídia und weiter, am frühen Abend. Die Sonne hat sich schon gesenkt. Ortsauswärts eine ruhige, gelassene Stimmung. Touristen begeben sich langsam in ihr Hotel, um sich auf den Abend einzustimmen. Die Sonne ist hinter dem Felsen links verschwunden, alle Versuche, ein Auto zu stoppen, bisher fehlgeschlagen. Also gehe ich zu Fuß weiter. Rechterhand das Valley mit den drumherumliegenden Felsen, alle durchlöchert wie ein Schweizer Käse. Genau dort hinten sind wir letztens noch herumgestapft, haben uns die Arme aufgekratzt an dornigen Büschen, als der Wanderweg nur noch ein dünner Pfad war, bevor er in die breite Straße mündete, die zur Hauptstraße führt. Ich beeile mich, um noch ein wenig vom Sonnenuntergang zu sehen, laufe schon fast die Straße bergan. Ein gefährliches Stück, insbesondere die Kurven. Wieder einmal sind viele Raser unterwegs. Als nur noch das schnurgerade Stück Straße bis Pitsídia auf halber Höhe vor mir liegt, sehe ich, wie die Sonne linkerhand in diesigem Rot verschwindet. Jetzt aber hurtig, bevor die Dunkelheit mit aller Macht hereinbricht. Am höchsten Punkt dieser Strecke, gegenüber der Einfahrt zum Campingplatz, die Gaststätte „Speed“. Ich setze meinen Nachhauseweg fort, die Hauptstraße entlang, nicht durch die Dorfstraße. Möchte keine Zeit mehr verlieren und in die angsteinflößende Schwärze geraten. Ob ich es jemals schaffe, keine Angst mehr zu empfinden angesichts dieser undurchdringlichen Dunkelheit, die einem jeglichen Orientierungssinn raubt. Von Pitsídia bekomme ich heute im Vorbeigehen also nur die Geschäfte und Lokale an der Hauptstraße mit. Bald schon passiere ich die breite Straße hinauf ins Dorf, linkerhand die überdachte Bushaltestelle. Jetzt kommt der Friedhof in Sicht, auf allen drei Seiten von Straßen umrahmt, eine kleine Insel, verkehrsgünstig gelegen. Mittlerweile ist es fast ganz dunkel geworden. So schnell geht das hier mit der Dämmerung. Daher nehme ich nicht den Weg durch die Felder, sondern stapfe weiter die Straße entlang.
Möchte nicht riskieren, mich zwischen den Olivenfeldern zu verlaufen, das ist mir schon einmal passiert. Weiche Ästen aus, die von Bäumen am Straßenrand herabhängen. Immer wieder lebensgefährlich, wenn sich Autos in rasender Geschwindigkeit nähern. Es ist, als ob diese Straße eine Art Schicksalsstrecke ist: Mal schauen, ob wir heute die Geschwindigkeit überleben. Ob sie das Schicksal nicht ein wenig zu sehr herausfordern? In der Dunkelheit erkenne ich von weitem die von Autoscheinwerfern angestrahlten Schilder, die an der Kamilári-Sívas-Kreuzung aufgestellt sind und biege nach rechts ab. Endlich wieder entspannt gehen, denn nach Sívas fahren nicht so viele Leute. Ich weiß, wenn heute Vollmond wäre, würde er schräg links hinter den Olivenbäumen aufgehen. Diese Straße bergan in „mein“ Dorf hat so etwas Heimeliges, Vertrautes. Jeder Winkel bekannt. Manchmal halten Bekannte mit dem Auto auf dieser Straße an, weil man meint, dass ich doch lieber mit ihnen hoch ins Dorf fahren soll, damit ich nicht zu Fuß gehen „muss“. Und natürlich steige ich ein, auch wenn ich lieber „me ta pódia“ gelaufen wäre.
Doch heute Abend ist weit und breit niemand zu sehen. Langsam geht’s bergan. In einiger Entfernung sehe ich links bereits einen Teil der Ebene mit den blinkenden Lichtern der umliegenden Dörfer. Kaum ein Laut ist zu hören. Ein Käuzchen. Manchmal ein Knacken, vielleicht von einem Esel, der dort unter einem Baum an der langen Leine steht. Und natürlich die Motorengeräusche der Autos unten von der Hauptstraße, die aber schon ein paar hundert Meter entfernt ist. Nach der Linkskurve ist Sívas zum Greifen nah. Es ist ein wenig wärmer geworden, auch die Luftfeuchtigkeit ist nicht so extrem wie in Mátala, direkt am Meer. Nur noch ein kleiner Anstieg und schon hat man den Dorfrand erreicht. Links ein Lokal, großzügig angelegt. Rechts ein paar ältere Häuser. Sich in die Geborgenheit des Dorfes begeben. Der erste Abzweig durch den hangaufwärts gelegenen Dorfteil, den ich manchmal nehme, wenn ich keine Lust auf die neugierigen Blicke auf der Platía habe. Doch heute zieht es mich förmlich zum Dorfplatz. Geradeaus sehe ich bereits die scharfe Rechtskurve, durch die die Dorfgasse im Neunziggradwinkel wieder hinab zum Zentrum führt. Eine gefährliche Ecke, daher hat man auch vor Jahren einen Verkehrsspiegel angebracht. In einigen Eingängen sitzt man zusammen und plaudert. Frauen stehen in einer kleinen Gruppe auf der Straße, schauen mich freundlich an, erwidern meinen Gruß. Kinder spielen noch ausgelassen im Laternenlicht. Nun wird es noch lebendiger. Die Platía kommt in Sicht, wohin man sich – wie jeden Abend – zu einer ausgiebigen Vólta aufgemacht hat..........wie schön, dieses Gefühl, wieder „zu Hause“ zu sein. |