Greenwich Village im Regen


Der gestrige erste Tag in New York war sehr ereignisreich – entsprechend erschöpft, vor allem aber furchtbar durchgefroren, kehrten wir nach unserem ersten Ausflug nach Long Island City zurück. Trotz des Jetlags und der damit verbundenen Müdigkeit machten wir uns noch auf einen kurzen Erkundungsgang zum nächsten Supermarkt um die Ecke, wo es vieles gab, was wir nicht brauchten, wie z.B. eine riesige Auswahl an Chips, Flips, Nüssen, Crunchies, Cracker, Biscuits und Süßigkeiten, in allen erdenklichen Geschmacksrichtungen und Preisklassen. Ganze Regalböden und Gänge waren mit den Tüten vollgestopft. Daneben dann auch ein Sortiment, wie wir es aus unseren Breiten kennen. Ein paar Kleinigkeiten zu wesentlich teureren Preisen als in Deutschland fanden dann doch den Weg in eine kleine Tasche.
Irgendwie merkten wir, dass uns nach dem langen Tag langsam die Lichter ausgingen. Schnell noch etwas zum Abendessen, und dann ab ins Hotel, Heizung und Fernseher an und entspannen, so der Plan. Doch auch auf den zweiten Blick sahen wir rund um unser Hotel kein echtes Restaurant.
Ein junger Mann, der gerade des Weges kam, kannte sich sicherlich aus. Ich unterbrach ihn unwissentlich mitten in einem Telefonat; schnelle Entschuldigung meinerseits, doch nein, wir sollten dableiben! Kurzerhand beendete er sein Telefongespräch, er würde gleich zurückrufen, und schon widmete er uns seine freundliche, lächelnde Aufmerksamkeit. Restaurants? - Doch die gäbe es hier, zwei Parallelstraßen weiter sogar eine kleine Auswahl. Es sei nicht weit, nur 10 Minuten zu Fuß, meinte er breit lachend, für ihn als New Yorker, der alles zu Fuß macht, sei es nicht weit, fügte er einschränkend hinzu. Für uns ist das zum Glück auch noch nah genug, auch nach einem anstrengenden Tag. Die Richtung zur Vernon Street wussten wir jetzt und freuten uns über die so nette Begegnung.
Mit letzten Kräften und schon fast im Halbschlaf machten wir uns auf den Weg, noch einmal falsch abgebogen, wieder zurück, und schließlich kamen die ersten Futterkrippen mit Angeboten aus verschiedenen Ländern in Sicht. Die meisten waren am späten Nachmittag allerdings noch geschlossen, doch ein italienisches Restaurant hatte auf. Perfekt für uns. Die Auswahl war riesig, insbesondere an lecker belegten Pizzen, und auch der Betrieb nahm schon langsam zu. Allerdings waren es mehr Leute, die sich etwas für zu Hause holten, denn wir waren fast die einzigen, die an einem der großen Tische an der Wand Platz nahmen. Während wir auf das Essen warteten, wurden uns die Getränke serviert, je 0,3-Liter-Flasche Bier für sage und schreibe 8 USD! (Wir rechneten die Preise während unserer Reise knapp 1 zu 1 um.).
Gesättigt und zufrieden trollten wir uns dann zurück ins Hotel. Kaum dort angekommen, fielen die ersten dicken Regentropfen.

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Die Nacht war lausig kalt, und obendrein regnete es auch noch durchgehend, am Morgen sind sogar die Fenster beschlagen. Dennoch sind wir schon früh auf den Beinen. Da wir für heute nichts gebucht haben, können wir uns Zeit lassen. Was an Organisatorischem fehlt, ist noch ein Zugang zum Safe (dieser ist verschlossen), zum WIFI des Hotels und die Aktivierung meiner Prepaid-Karte. Doch alles zu seiner Zeit.
Im Frühstücksraum hören wir schon Geschirrklappern, ein starker Kaffee wartet auf uns. Das Frühstück wird jedoch in der ganzen Zeit niemals vom Vortag abweichen. Es wird vieles angeboten, was ich nie esse. Spätestens am dritten Tag kommen mir die Rühreier dermaßen zu den Ohren raus, dass ich sie während der ganzen Reise verschmähen werde. Und das heißt was, denn Rührei wird in allen Hotels morgens zum Frühstück angeboten. Die Auswahl in unserem Hotel in Queens beschränkt sich dann noch auf Fertigwürstchen, Toast, labberige Pancakes, abgepackte Döschen mit „Frisch“käse und Heidelbeermarmelade, die nach absolut nichts schmeckt, dann noch Cerealien und ein paar Stücke Obst.
Mir bleiben die Pancakes, die ich großzügig in Maple-(Ahorn-) Sirup bade, denn die staubtrockenen Pfannkuchen scheinen die Feuchtigkeit des zähen Saftes förmlich zu inhalieren, so schnell ist alles eingezogen. Ich kann mit all dem leben, Hauptsache der Kaffee bringt uns auf Trab.
Schnell wird später der Safe von einem Angestellten geöffnet, die Nummer für das WIFI prangt groß am Tresen (hatte ich glatt übersehen), und die Aktivierung der Prepaid-Karte für Telefon und Internet klappt zunächst auch problemlos. Nach einer Kurzbesichtigung des Ausblicks von der Dachterrasse unseres Hotels auf die Queensboro Bridge geht es dann los zu unserer weiteren Erkundung Manhattans!


Vorgesehen war eigentlich ein ganztägiger Rundgang durch Gramercy (zum dreieckigen Flatiron-Gebäude und Madison Square Garden, wo schon viele denkwürdige Konzerte stattgefunden haben) mit weiterem Spaziergang durch das East Village hin zum berühmten Szeneviertel von Greenwich Village. Doch Pläne sind dazu da, dass man sie bei Bedarf ändert, und das geschieht heute auch aufgrund des bei Weather Underground vorhergesagten Regenwetters. (Die App dieser Seite wird uns im Übrigen zuverlässig während unserer gesamten Reise begleiten.) Da dauerhafter Nieselregen nicht unbedingt zu langen Wanderungen einlädt, beschließen wir, nur zum Greenwich Village zu fahren und uns dort ein wenig umzusehen. Mir schweben schöne kleine Cafés zum Sitzen und Chillen vor, falls es draußen doch noch ungemütlicher wird.

Unsere Lieblingslinie E bringt uns zur Haltestelle W 4, in der Nähe des Washington Squares, den wir jedoch gar nicht wahrnehmen. Vielmehr stapfen wir die breite, verkehrsreiche 6th Avenue, die hier Avenue of the Americas heißt, gut beschirmt im stetig zunehmenden Regen hoch. Irgendwann werden wir einfach ins Viertel einbiegen. So richtig einladend ist das alles im Moment nicht, allenfalls, um ein wenig New-York-Feeling im Regen einzufangen.

Das Greenwich Village gehört neben der Südspitze zu den am ersten besiedelten Orten Manhattans. So kann man sich vielleicht auch die kreuz und quer, krumm und in Bögen verlaufenden Straßenanlagen und ihre Bezeichnungen erklären, die komplett aus dem Städteraster fallen, das in seiner geometrisch akkurat durchnummerierten Gitternetzform erst hundert Jahre später, ab dem 18. Jahrhundert, entwickelt wurde. Im Laufe der Zeit wurde der Stadtbezirk zu einem Szeneviertel, in dem viele bekannte Künstler gelebt und gewirkt haben. Die Rede ist laut unserem Reiseführer New York von Größen wie Bob Dylan, Joan Baez, Art Garfunkel, Frank Zappa und vielen anderen.

Auch Angehörige der LGBTQ-Community fühlten und fühlen sich hier wohl und aufgehoben, auch zu Zeiten, als Schwulsein noch unter Strafe stand. Mit den Stonewall Riots in der Christopher Street im Jahr 1969 begannen die Auseinandersetzungen mit der Polizei nach immer wiederkehrenden Razzien in einschlägigen Clubs. Seit den damaligen Zusammenstößen wird die jährliche Pride Parade, die hier ihren Ursprung hat, in aller Welt entsprechend gefeiert. Ziele der Bewegung waren letztendlich Respekt, Anerkennung und Gleichstellung. Seit dieser Zeit haben sich in etlichen Ländern die Bedingungen verändert bis hin zur Gleichstellung in Ehe und Familie. In anderen Ländern bleibt es leider weiterhin bei der Kriminalisierung von Menschen anderer sexueller Orientierung als der heterogenen.
Die langgezogene Christopher Street quert die breite Avenue, über die wir eine Weile nach Norden gegangen sind. Durch ein Straßengewirr gelangen wir schließlich zurück zum kleinen Christopher Street Park mit dem Gay Liberation Monument – einer Gruppe von vier weißen Skulpturen, zwei stehende Männer und zwei sitzende Frauen, die hier ein Stück Geschichte symbolisieren.

Die ruhigen Straßen im Viertel sind nicht besonders breit, und die mit Bäumen bestandenen und liebevoll mit Blumenbeeten verzierten Gehwege schon gar nicht. Sauber ist es, kein Hundekot, kaum Zigarettenkippen, nur selten mal ein wenig Unrat. Die niedrigen, oft roten Steinhäuser mit den charakteristischen Treppenaufgängen und Feuerleitern, die mich an verschiedene in New York spielende Filme erinnern, vermitteln einen eher kleinstädtischen Eindruck. Dass die Wolkenkratzer Manhattans nur einen Sprung weit entfernt sind, mag man kaum glauben. Gemütlich und ohne den lauten Verkehrslärm der Avenues lässt es sich in diesem überaus einladenden Viertel sicherlich gut leben.
Im Sonnenschein kann man bestimmt schön durch die Gässchen bummeln, die Souterrain-Lädchen bewundern und noch weitere Sehenswürdigkeiten besichtigen, doch im unablässigen Regen vergeht mir so langsam die Lust dazu. Den Schirm balancierend ist an Fotografieren nicht zu denken. Mit zunehmendem Wind und Niederschlag haben sich meine Jeansbeine langsam mit Nässe vollgesogen. Die Aussicht auf ein geöffnetes Café oder anderes Lokal entpuppt sich als Hirngespinst. Wahrscheinlich öffnen sie alle erst am Abend. Als wir wieder auf die 6th Avenue gelangen, bin ich so durchnässt, dass ich die Kleidung auswringen könnte. Nichts wie zurück ins Hotel!


Times Square mit Hardrock Café
Museum of Modern Art