Ein Nachmittag bei Spíros in Mátala


Jedes Mal, wenn ich nach Mátala komme, besuche ich Spíros. Er stammt aus einem Dorf in Südkreta, wohnt aber schon sehr lange in Mátala (Hier handelt es sich wahrscheinlich um einen klassischen Fall von "Matalíassi" - der Mátalakrankheit, die dafür sorgt, dass man dem Ort derart verfällt, dass ein Leben woanders nicht mehr denkbar erscheint und man nur mit überirdisch starkem Willen in der Lage ist, wegzugehen, zumindest körperlich.).


Spíros und ich, wir kennen uns seit 15 Jahren, aus einer Zeit, als seine „Odyssee-Bar“ noch geöffnet war. Das Lokal lag ein wenig unterhalb der Taverna Sunset und trug seinen Namen nicht zu Unrecht.

Die Stufen, die heute in den Fels gehauen sind, und das Geländer haben den Weg sehr entschärft. Zu früheren Zeiten musste so mancher Gast bergab auf dem Rückweg, in der Dunkelheit, nach dem Konsum geistiger Getränke arg aufpassen, über die groben Vorsprünge nicht ins Meer zu stürzen.
Jeden Abend wurde in der Bar gefeiert. Gäste aus aller Welt, die die gute alte Rockmusik liebten, fanden sich ein. Spíros war für mich der geborene Barmann, unterhaltsam und trinkfest. Stets war er darum bemüht, seine neuen Gäste mit einzubeziehen. So war es auch mir beim ersten Besuch ergangen, irgendjemand hatte mich mit hierher geschleppt. Dunkle Erinnerungsschwaden an Wodka in einem Saftgetränk, kräftig geschüttelt, nicht gerührt, und einen Abend mit guten Typen und toller Mucke sind noch schemenhaft vorhanden.

Roússos, ein Grieche von der Insel Sýros, legte in der Regel die Musik auf. Die beiden stritten manchmal wie die Kesselflicker, spielten sich gegenseitig Streiche. "Roússos, you look like a sheep", meinte Spíros, um Roússos zu einem Friseurgang zu bewegen. Roússos quittierte den Kommentar mit seinem breiten Lachen.

Wenn Roússos Musik auflegte, fing er mit sanften Liedern an und steigerte sich durch den Abend stetig zu wilder, abgefahrener Rockmusik, bei der meine Eltern früher regelmäßig Schreianfälle bekommen hatten. Hier waren Menschen vereint, die mit genau dieser Musik aufgewachsen waren, und die das damit verbundene Lebensgefühl genüsslich teilten.

Wenn Spíros die Musik auflegte, fing er meistens direkt mit den Krachern an - wozu so lange warten? - was Roússos mit Kopfschütteln und entsprechenden Kommentaren versah. Ja, die beiden erinnerten mich oft an ein lange verheiratetes Ehepaar.


An diesem frühen Nachmittag, den wir in der Taverna Sunset begonnen hatten, bog also plötzlich Spíros um die Ecke. Er kam gerade von nebenan aus der Fischtaverne von Kóstas, hatte einen Beutel voll grüner Paprika dabei.

"You are HERE ?? That`s great! Welcome home!" - eine freundschaftliche Umarmung, wir freuten uns, uns wieder zu sehen. "Ela, let`s have a drink". OK, ein Rakí ist nicht verkehrt, aber nur ein kleiner. Sowas mache ich in Deutschland nie, Schnapstrinken am frühen Nachmittag bzw. überhaupt Schnaps zu trinken. Auf Kreta kann man schon dazu verleitet werden, alte Gewohnheiten über Bord zu werfen (ist von mir schon vielfach beobachtet und praktiziert worden).

Nach dem Begrüßungstrunk lud Spíros uns ein, mit ihm zu kommen. Mittlerweile waren wir nur noch zu dritt, der Rest unsere Wandergruppe war in Mátala unterwegs. Ein paar Stufen hinab, und schon waren wir da. Die Bar sieht eigentlich noch genauso aus wie früher. Der Außenbereich erweckt die Illusion, man säße auf einem Schiff. Einrichtung und Zubehör sind aus Holz. Früher war das wirklich einzigartig, abends, womöglich noch bei Vollmond, gleich über dem Wasser zu sitzen, am Ende von Mátala und über den Ort zu blicken, die Bucht zu Füßen, die Geräusche des Meeres im Ohr.

Die Farben des Schiffes sind verblasst, das Holz an einigen Stellen morsch. Barhocker und andere Sitzgelegenheiten sind nicht mehr vorhanden.


Seit die Bar vor einigen Jahren geschlossen wurde, hat sich Spíros auf die Malerei verlegt. Der Barraum ist seitdem in ein improvisiertes Atelier umfunktioniert worden. Spíros probiert viele verschiedene Stilrichtungen aus, macht auch Skulpturen, aufwendige Kerzenleuchter aus natürlichen Materialien und schreibt Texte für Lieder und Mantinaden. Schon einige Male haben Freunde seine Texte vertont und ihm das Ergebnis per CD zugeschickt.




Spiros führte uns in sein Atelier, knipste erst mal den Fernseher an und legte die Stones auf. Multimedia, wie ich es von ihm kenne.

Seine neuen Werke wollte ich mir anschauen: Die „Mondschein-Braut“ und Skulpturen aus Strandgut. Auf eine Innenseite einer der großen Muschelschalen hatte er die „Panagía mit ihrem Kind“ gemalt. Das Bild sei schon da gewesen, als er die Muschel gefunden hatte, meinte Spíros ernst, er hätte nur die Linien nachzuzeichnen brauchen. Eindrucksvoll.

In den letzten Wochen hatte Spíros sich vorwiegend mit "Don Quichote“ beschäftigt und sehr viel Spaß dabei gehabt. Noch immer amüsierte er sich königlich über den dummen Don Quichote, der mit den Windmühlen kämpft und herumtorkelt, ohnmächtig von den Flügeln herumgewirbelt.
"Don Quichote“

Etliche von Spíros Werken konnte man schon in der Galerie von Mátala bewundern. Mittlerweile erhält er Post aus aller Welt von Käufern, die ihm Fotos schicken und ihm zeigen, wie das jeweilige Bild gerahmt in irgeneiner Wohnung in München, Perth oder Johannesburg hängt.
Der Interessierte kommt einfach vorbei und schaut sich um. Bereitwillig lädt der Künstler seine Gäste ein, es geht sehr zwanglos zu.

Mittlerweile hatte Spíros eine Flasche Retsina geöffnet. Jammas! Neugierig schaute Spíros` Hund "Kürbis" um die Ecke. Sein Gefährte "Bush", war gerade unterwegs.

"Kürbis“

Nach einer Weile beschloss Spíros zu kochen. Seine Küche ist famos. Er ist einer der Menschen, die das Geschick besitzen, aus wenigen Zutaten ein Festmahl zu kreieren. Zunächst einmal sollte ein Sößchen gezaubert werden, bestehend aus Pepperoni, Zwiebeln, Tomaten, Knoblauch und Gewürzen. Ob ich die Pepperoni in kleine Stücke häckseln könnte? Diese Paprika aus der Fischtaverne waren in Wirklichkeit Pepperoni, die von der länglichen, grünen Art. Machten einen recht harmlosen Eindruck.

Entgegen Spíros` Rat hatte ich eine winzige, hauchdünne Messerspitze davon probiert. Zunächst fing mein Mund Feuer. TEUFELSPEPPERONI!! Bald begann auch mein Gesicht zu brennen, ganz langsam vom Mund über die Wangen bis zu den Augen und der Stirn. Es wurde rot und schwoll etwas an. Gefährliches kretisches Gemüse!

Die Hände brannten zwar erst später, dafür aber umso intensiver. Spíros – ganz Kreter – empfahl eine Handwäsche mit Raki. Ich wollte alles tun, damit der Brand aufhörte, doch auch Hochprozentiges erfüllte diesen Zweck ebenso wenig wie Meerwasser. Einzig ganz kaltes Süßwasser linderte später ein wenig. Falls ich nochmals mit solchem Gemüse in Berührung kommen sollte, werde ich Gasmaske und Gummihandschuhe tragen.

Unterdessen köchelte das Essen langsam vor sich hin. Dazu passte ausgezeichnet Musik von Led Zeppelin, klar "Stairway to heaven". Wir sangen insbrünstig mit, ich wechselte mich an der Luftgitarre und dem Schlagzeug ab, so wie früher. Auch wenn Rockmusik den Einheitsbrei-Geschmack des Zeitgeistes nicht mehr trifft, für uns ist sie mehr als nur Unterhaltung. Sie symbolisiert eine Epoche, an deren Glanzzeit wir uns gerne zurückerinnern und die noch nicht zu Ende ist. Es ist unsere Epoche.

So wohl gestimmt gab Spíros uns ein paar seiner Lebensphilosophien mit auf den Weg. "You only have ONE life, live it!" - "The more you give, the more you get." Jammas! Mittlerweile duftete es schon verführerisch aus dem Topf.

Die nun erträglich scharfe Soße, die Spíros da gegart hatte, harmonierte perfekt mit Kalamari und frischem Brot. Dazu ließen wir uns einen leckeren Weißwein (eine offene Sorte, ungeharzt) schmecken.

Pappsatt und sehr zufrieden betrachteten wir die leeren Teller. Es hatte uns sowas von gut geschmeckt, noch immer schwärmten wir davon. Spíros griff hinter sich ins Regal und ließ mich verschiedene Essigsorten kosten, die alle mit verschiedenen kretischen Kräutern in Flaschen angesetzt worden waren. Alte Rezepte von seinem Vater, wie er meinte. Ein Traum von Essig.

Spíros dichtend, singend, lachend, leckeres Essen und Trinken, very good feelings, the old spirit, gute Erinnerungen, Musik, die uns berührte, das alles umgeben von seinen Kunstwerken, und draußen ein tosendes Meer und der irre kretische Wind. Ein perfekter Nachmittag.

Ausstellung:  "Kunstwerke von Spíros aus Mátala"