Nach zwei Stunden wird mir klar, dass diese Nacht mir nicht die gewünschte Menge an Schlaf bescheren wird, die ich brauche, um für die morgige Reise fit zu sein. Statt selig zu schlummern, wälze ich mich von einer Seite auf die andere, kann einfach kein Auge zubekommen. Reisefieber? Noch nicht einmal Moskito-Blutsaugern kann ich die Schuld zuschieben. Mitternacht ist schon lange vorbei. Hellwach bin ich, als ich beschließe, den Rest der Nacht draußen zu verbringen, damit zumindest einer von uns beiden eine Mütze voll Schlaf bekommen kann. Kissen und Laken mitgenommen und leise die Zimmertür hinter mir geschlossen biege ich um die Ecke und mache es mir auf dem Kanapee bequem, auf dem tagsüber Betrachtungen und Bewertungen vorgenommen werden. Richtig breit ist das Möbel, so dass man sich bequem darauf ausdehnen kann. Kein Laut ist zu hören. Falls noch jemand unterwegs sein sollte, so verhält man sich angemessen ruhig. Durch das Blätterdach der 800jährigen Platane kann ich vereinzelt Sterne blinken sehen. Die milde Luft und die angenehmen Temperaturen bieten ein erquickend-kühles Intervall zwischen den unerbittlich heißen Augusttagen. Ein intensiver Wunsch nach Nächten in freier Natur keimt auf. Wie wohltuend, hier draußen zu liegen, gut aufgehoben, bei Chrissoúlla und ihrer Familie, eine wunderschöne, abschließende Erfahrung, an die ich mich im Nachhinein gerne erinnere. Chrissoúlla ist den ganzen Tag über auf den Beinen, ernst und konzentriert bei der Sache, weder übertrieben-überschwänglich noch geschäftstüchtig-distanziert, jedoch sehr um das Wohl ihrer Gäste bemüht. Nie ist ein Weg zu weit oder eine Handreichung zu viel. Die Minuten verrinnen, während ich – mittlerweile ein wenig vor mich hindösend – meinen Gedanken nachhänge: Die reichhaltigen Erinnerungen an die Erlebnisse der letzten Tage, wissend, dass uns noch eine kleine "Gnadenfrist" auf dem Festland bleibt und wir danach wieder nach Deutschland zu unseren Pflichten fliegen werden. Mittlerweile bin ich jedoch so entspannt, dass ich das Konzert des Saxophonisten genießen kann. So spät ist es also schon, bald wird es dämmern. Er spielt wirklich gut, leise, da weiter weg als die ersten Male, als ich ihn nach Grönland gewünscht habe. Langsam fallen mir die Augen zu und ich entschwinde ins Unterbewusstsein. Als es schon fast ganz hell geworden ist, ist unser Hauswirt zu früher Stunde mit einem Besen im „Parádisos“ unterwegs. Unsere Straße ist ansonsten noch nicht erwacht. Diese Morgenstunden zwischen Nacht und Tag haben etwas Tröstliches, wenn man - noch in sich gekehrt - seine Routinehandlungen vollzieht, ohne dass die sonstigen Erfordernisse des Tages schon ihre Finger nach uns ausgestreckt haben. Noch eine Weile lausche ich dem Kratzen des Besens über den Betonfußboden, ehe ich mich wieder in unser Zimmer verziehe. Der kurze Schlaf hat mich erfrischt – jetzt bin ich wach und habe Kaffeedurst. In den anderen Zimmern wird nun ebenfalls geklappert, draußen hält ein Moped, sicherlich wieder der Rohstofflieferant für die Tavernenküche, der – mit einem dicken Sack Kartoffeln zwischen den Beinen und etlichen Kilo Gemüse und Salat im Gepäckträger – die Küchenhilfen mit ihrem täglichen Arbeitsmaterial versorgt. Bis zu unserer Abfahrt haben wir Zeit, um noch ein gemütliches Frühstück zu genießen. Abreise aus Samothráki Dieselbe Nachbarin aus unserer Pension, die auch schon die beiden Reisenden aus Kavála in den Hauptort gefahren hatte, bringt uns am Vormittag – nach allseitiger Verabschiedung und vielen "Guten-Winter"-Wünschen – mit ihrem Auto nach Kamariótissa zum Hafen. In der glühenden Hitze (schon über 35 Grad bei fast Windstille) bedeutet es eine echte Wohltat, uns nicht mit unserem Gepäck in den Bus quetschen zu müssen. Wir haben noch Zeit und hieven uns in ein Café, wo wir eisgekühlte Getränke zu uns nehmen und uns mit dem in Komotiní erstandenen, chinesischen Fächer ein wenig Luft zuwedeln. Ah, das griechisch-tscherkessische Paar ist also auch hier, deshalb haben wir sie bei unserer Abreise aus Thérma nicht mehr gesehen. Große Verabschiedung, kaló chimóna, und man habe sich sehr gefreut, die gegenseitige Bekanntschaft gemacht zu haben. Eine Stunde verbringen wir hier, schwitzen um die Wette. Noch einmal zur Bank, ein paar Scheine gezapft, zur Vorsicht. Noch ein wenig umgepackt, dann macht sich Hunger breit. Wir bringen uns und unser Gepäck ein paar Häuser weiter, wo es leckere Bougátsa gibt. Gut gestärkt, aber schon wieder aufgeheizt, wagen wir bald die kurze Strecke zur Anlegestelle. Unterwegs begegnet uns das griechisch-tscherkessische Paar noch einmal. Eine erneute Verabschiedung, kaló chimóna. Wir beneiden sie, dass sie noch eine Woche bleiben können. Es ist unglaublich heiß: Schwitz, wedel, tropf, Schweiß-abwisch! Die Fähre macht im Hafen erst eine Zeitlupen-Kehrtwendung, legt dann vorsichtig an. Zuerst einmal die Leute von der Fähre lassen, trotzdem wird es wieder recht chaotisch, weil die An-Land-Stehenden schon wieder auf die Fähre stürmen. Heftiges Zurückgepfeife, um das sich niemand kümmert. Herumgeschreie, dann gibt man auf. Es geht um heiß begehrte Sitzplätze, die wollen erobert werden! Wir befinden uns mitten im Getümmel, werfen unser Gepäck in die Ablage in der Garage und stiefeln über die enge Treppe nach oben auf Deck. Auch hier ist es heiß, doch zumindest sitzen wir im Schatten, breiten uns ein wenig aus. Nach und nach füllt sich das Oberdeck bis auf den allerletzten Platz. Wir treffen die Familie wieder, die mit uns ein paar mitternächtliche Stunden bei der Thermischen Oma geteilt hat. Eine wundervolle Woche habe man in einem Appartement, außerhalb von Thérma, verbracht. Mittlerweile hat sich eine Gruppe von Freaks um unsere Plätze herum niedergelassen. Nun beobachten wir ein klassisches bio-psychologisches Schauspiel. Die Hauptakteure: Eine junge, braungebrannte, schlanke Schönheit mit makelloser Haut, blauen Augen und braunen Haaren, die mit einem Tuch kunstvoll nach oben gebunden sind, und ein Italiener, dem diese Frau gut zu gefallen scheint. Die restlichen Mitglieder der bunt zusammen gewürfelten Gruppe, die sich offensichtlich auf einem der Campingplätze auf Samothráki kennen gelernt haben, sind Statisten. Der Balztanz beginnt. Unglücklicherweise befindet sich mein rechtes Ohr nur etwa 10 cm vom Kopf des Italieners entfernt, der sich weit vornüber gebeugt hat, um die eine Reihe hinter uns sitzende Schönheit zu umgarnen. Um sich so richtig ins Zeug zu legen, hat er sich mächtig aufgeplustert. Auch seine Stimme hat sich zu einem Crescendo verstärkt, dass mir die Ohren klingeln. Man lacht und lacht, SEHR LAUT. Irgendwie sind wir amüsiert über den Gockel, andererseits haben wir beide ganz andere Bedürfnisse. Doch was können zwei übermüdete Touristen schon gegen überbordende Hormone ausrichten? Ich verstehe mittlerweile gar nichts mehr, denn der Italiener brüllt immer lauter in mein Ohr. Die Frau spielt nach außen die Coole, er buhlt immer weiter. Irgendwann wird es uns doch zuviel. Auf Deck scheint es auch bei voller Fahrt auf dem Meer keine Brise mehr zu geben. Die Hitze staut sich förmlich unter dem Sonnensegel. Deshalb begeben wir uns in das klimatisierte Innere des Schiffes. Nur noch im Zwischenraum, dort wo sich die Türen nach draußen befinden, finden wir ein Plätzchen. Alex auf einem Stuhl, den Kopf auf den Tisch gelegt, ich auf der Bank gegenüber, halb liegend, schlafen wir tatsächlich für ein halbes Stündchen ein. Danach fühlen wir uns richtig erfrischt, ein kalter Frappé richtet uns wieder auf, um zu beobachten, wie die Schöne und der Italiener zusammen durch das Schiff streifen. Scheint also geklappt zu haben. Von Alexandroúpoli nach Kavála Der nächste Bus von Alex/Poli in Richtung Thessaloníki fährt gegen 17.00 Uhr. Daher postieren wir uns schon früh am Ausgang der Fähre, es gelingt uns sogar, vor dem Anlegen unser Gepäck aus dem Fach in der Garage zu besorgen. Eine endlose Anlegeprozedur in Alex/Poli lässt wertvolle Minuten verrinnen. Sobald das Schiff fest vertäut und die eisernen Landeklappen auf dem Beton des Anlegekais aufgeschlagen sind, spurten wir durch den Hafen davon in Richtung Busbahnhof. Es ist nicht weit, doch die Strecke durch den weitläufigen Hafen zieht sich, und wir schwitzen schon wieder wie irre. Stetig geht es bergan. Beim Eintreffen im Praktorío (Busbahnhof) stellen wir fest, dass wir diesen Bus tatsächlich noch erwischt hätten, doch der „Express“ fährt nicht über Kavála. Für den haben wir noch über eine Stunde Zeit. Auch gut. In der klimatisierten Bushaltestelle stehen Tische und Stühle. Wir drapieren unser Gepäck neben unseren Sitzen und holen uns erstmal ein Eis zur Abkühlung. Alles bestens. Am Abend werden wir immer noch früh genug an unserem Zielort sein, um uns ein Hotel zu suchen. Unser Bus ist restlos ausverkauft, unsere Sitzplätze ziemlich weit hinten. Noch mal Glück gehabt, dass wir überhaupt welche bekommen haben. Vorbei an den zahlreichen Olivenbäumen von Mákri und durch thrakische Landschaften düst unser Bus nach Westen. Nach Komotiní fahren wir dieses Mal nicht hinein, sondern umgehen die Stadt auf einer Schnellstraße, einem Teilstück der Vía Egnatía. Als wir die Randbezirke von Kavála erreicht haben, trifft der Blick als erstes auf die Hafenbucht. ![]() Und dann schraubt sich der Bus auch schon bergab bis auf Meereshöhe, fährt ein kleines Stück am Hafen entlang, vorbei an dem imposanten Gebäude des Rathauses (dem Dimarchío), zum Busbahnhof, der sich in zentraler Lage, nicht weit von einem Viertel mit mehreren Hotels, befindet. Wir entscheiden uns – auch des Preises wegen (52 €) – für das Hotel „Neféli“ in der Erithroú Stavroú 50 (Rote-Kreuz-Str. 50), das uns restlos überzeugt. Wir mögen das Zimmer mit der Klimaanlage und dem Fernseher. Doch am meisten gefällt uns der Blick nach draußen auf`s Meer, den man von dem winzigen Balkon im vierten Stock ausgiebig genießen kann. Nach dieser schweißtreibenden Fahrt wecken ein bohrendes Hungergefühl und eine Dusche bei eingeschalteter Klimaanlage unsere Lebensgeister. Es folgt ein schöner, aber schneller Spaziergang am Hafen entlang, wo es immer noch sehr warm ist, bestimmt so um die 30 Grad. Geräusche der Stadt, doch alles sehr moderat. Die Straßen teilweise abgesperrt und zu breiten „Fußgängerzonen“ umfunktioniert. In einem Restaurant lassen wir es uns weiter richtig gut gehen. Hahn aus dem Ofen, gefüllte Biftéki, Batátes, Tsatsíki, der obligatorische Angúro-Domáta und ein kaltes Bier erfüllen unsere kulinarischen Wünsche. Auch ein paar Katzen laben sich an den Überbleibseln. Wir genießen diesen Abend und sind sehr glücklich darüber, dass sich an unseren märchenhaften Samothráki-Aufenthalt noch zwei Tage anschließen, wir nicht direkt nach Deutschland zurückfahren, sondern uns noch einen kleinen Nachschlag gönnen. Nach dem üppigen Mahl packen wir vor Müdigkeit kaum noch den Weg nach Hause, fallen gleich in die Betten und sind augenblicklich eingeschlafen. Zehn Stunden später wartet die Stadt Kavála auf unsere Besichtigung. ![]() |