Geschichte
Keramikfunde belegen, dass die Insel spätestens seit der Bronzezeit um 2000 v. Chr., möglicherweise aber auch schon in der Jungsteinzeit, bewohnt war. Die „Ursamothráker“ waren wahrscheinlich Pelasger, Karer und später Thraker (Dardanen und Saeer), die der Insel verschiedene Namen gaben, wie Saonisos, Saokis, Levkania, Daradania, Melite, und von denen der höchste Berg, der Sáos (auch Fengári genannt), wahrscheinlich auch seine Bezeichnung erhielt.
Im 9. und 8. Jh. v. Chr. war Samothráki zum einen wegen seiner größeren Siedlungen, zum anderen wegen der strategischen Lage ein bedeutender Warenumschlagplatz.
Funde deuten darauf hin, dass schon um 700 v. Chr. Siedler (vermutlich aus Kleinasien oder Lésbos) neben einheimischen Insulanern friedlich koexistierten. Siedler, Händler und Reisende besuchten die Insel sehr zahlreich, um ihren Interessen und Geschäften nachzugehen.
Die Bewohner bauten eine Stadt auf der Nordseite der Insel, und hatten eine eigene Flotte. Der Stadtstaat wurde von einem König regiert. Sowohl ein Parlament als auch eine Volksversammlung hatten jedoch ein Mitspracherecht in politischen Belangen und der Gesetzgebung. Auch die Prägung eigener Münzen deuten auf die Bedeutung dieser Stadt in der damaligen Zeit hin. Die Schutzheilige war die Göttin Athene. Bereits in dieser Zeit begann die Verehrung der
Großen Götter.
Im 6. Jh. v. Chr. wurden um die Stadt herum Mauern errichtet, wohl auch um den Reichtum durch die wirtschaftliche Machtstellung in diesem Raum zu schützen. Sie zogen sich den Hügel hinab bis zum antiken Hafen. Das Heiligtum jedoch lag außerhalb der Stadtmauern.
Im 5. Jh. v. Chr. verlor die Stadt Paleópolis durch wechselnde Vormachtstellungen Athens und Spartas erheblich an Einfluss. Die Bedeutung des Heiligtums der Großen Götter sorgte jedoch dafür, dass Samothráki auch weiterhin jährlich Magnet für viele Menschen war, die sich in die Mysterien einweihen ließen oder einfach nur an den Feierlichkeiten im Sommer teilnahmen.
Man sagt, dass der makedonische König
Philipp II seine künftige Gattin und Mutter von Alexander dem Großen anlässlich seiner Einweihung im Heiligtum kennengelernt habe. Nicht nur er, sondern auch seine Nachkommen haben die Kultstätte durch erkleckliche Weihegaben, auch in Form von monumentalen Gebäuden, ab dem 4. Jh. v. Chr. materiell unterstützt und gefördert.
Auf seiner Reise nach Kavála besuchte der
Apostel Paulus im Jahr 49 n. Chr. die Insel.
Nach den Makedonen übernahmen die Römer die Herrschaft. In dieser Zeit bot das Heiligtum der Großen Götter allen Verfolgten Schutz.
Sein Niedergang begann gegen Ende des 4. Jh. n. Chr. Piraten plünderten die Insel mehrmals. Auch Angriffe slawischer Stämme sorgten dafür, dass letztendlich nur noch wenige Bewohner blieben, die im Landesinnern Zuflucht suchten und einige Kilometer von der Küste entfernt eine Stadt, die heutige Chóra, gründeten.
Unter byzantinischer Herrschaft galt Samothráki als Verbannungsort. Gegen Ende dieser Periode (15. Jh. n. Chr.) verschenkte Kaiser Johannes VIII Paleologos die Insel an den Genueser
Palamidi Gattilusi, dessen Bauwerke, u. a. das Kastro oben in Chóra und der Turm an der Mündung des Flusses Foniás bis heute gegenwärtig sind.
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts sind noch mehr Einwohner Samothrákis abgewandert, um auf dem griechischen Festland und auch in Deutschland ihr Glück zu suchen. In den letzten Jahren ist durch die Entwicklung von bisher sanftem Tourismus die Insel für Rückkehrer wieder attraktiv geworden. Zur Zeit leben auf Samothráki knapp 3000 Einwohner.
Ausgrabungen
| 1863 |
Charles Champoiseau, französischer Vizekonsul von Adrianópolis
Entdeckung der Statue der Nike von Samothráki aus weißem Marmor auf einem Brunnen. Die fast drei Meter hohe Gestalt stand an einer erhöhten Stelle des Heiligtums in der Nähe der Stoá und konnte selbst von See aus gesehen werden.
Sie ist vermutlich das Kunstwerk eines Bildhauers aus Rhodos und wurde dem Heiligtum 190 v. Chr. von den Bürgern der Insel Rhodos als Symbol ihrer Erfolge gegen Antiochos III gestiftet.
Der Entdecker schickte sie, zusammen mit anderen Skulpturen nach Paris, wo sie auch heute noch im Louvre bewundert werden kann. Ihr Kopf allerdings ist verloren gegangen, eine Hand fand sich später in einem Bach. |
| 1873 und 1875 |
Zwei österreichische Missionen unter der Leitung von A. Conze
Bauteile und Statuen wurden nach Wien und Istanbul gebracht. |
| 1891 |
Charles Champoiseau
Entdeckung des Theaters |
| Zur selben Zeit
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Nick. Fardis, samothrakischer Arzt
Beginn eigener Ausgrabungen |
1938 - 1948 und
1954 – 1957
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Karl Lehmann, Amerikanische Schule
Entdeckung des Anaktorons und der Nekropole
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| In den letzten Jahrzehnten |
weitere Forschungen durch
- Dimítris Matsas, Archäologe, 19. Amt für prähistorische und klassische Antiquitäten
- Amerikanische Schule für klassische Studien der Universität von New York
- Institut für Kunst unter der Leitung von J.R. McCredie
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Das Heiligtum / Die Großen Götter
Eine genaue und unumstößliche Meinung über die Entwicklung des Heiligtums und den Mysterienkult gibt es bisher nicht. Doch durch zahlreiche Funde, die von den unterschiedlichen Ausgrabungsteams zutage gefördert wurden, kann man sich heutzutage ein Bild davon machen, welchen großen Einfluss das Heiligtum der Großen Götter und der
Mysterienkult, ähnlich dem in Elévsina (Eleusis) bei Athen, in der damaligen griechischen Welt hatte.
Die Großen Götter, die
Kabiren (vermutlich vom semitischen Wort „Kabir“ = allmächtig), wurden ursprünglich als „Urgötter“ ohne Namen vor allem zum Schutz vor den Gefahren der Meere verehrt. Selbst die Bezeichnung „Kabiren“ ist in den Aufzeichnungen von Samothráki nirgends nachzulesen. Daher wurden sie auch einfach nur die "Götter“ oder die "Großen Götter“ genannt.
Erst in hellenistischer Zeit benannte der Schriftsteller
Mnaseas (Ausgang des 3. Jh. v. Chr.), der auch Schriften zu den Orakelsprüchen von Delphi verfasst hatte, die Großen Götter mit ihren mystischen Namen:
Axieros (Demeter) - die „Bergmutter“ als zentrale Gottheit, begleitet von Löwen und sitzend dargestellt. An der Ausgrabungsstätte Mandal Panagia, in der Nähe von Profítis Ilías, fanden die Archäologen ein Freilicht-Heiligtum, das der Großen Mutter geweiht war. Mit dieser Göttin, deren Altäre aus vulkanischem Gestein waren, wurden auch die eisernen, magnetischen Ringe verbunden, die bei den Zeremonien eine wichtige Rolle spielten.
Kadmilos (Hermes) - Ehemann der Berggöttin, Gott der Fruchtbarkeit, dargestellt mit einem Stab mit zwei Schlangen und dem Kopf eines Widders
Axiokersos (Hades) – Gott der Unterwelt, ein Mann mit Bart
Axiokersa (Persephone) – Gattin von Axiokersos, eine junge Frau mit Hut
Warum es ausgerechnet diese Götter waren, die so hoch verehrt wurden, lässt sich vielleicht mit den zentralen Fragen der Menschheit, nach dem Woher? und dem Wohin? erklären. Insofern gehen die Anbetung und die damit verbundenen Wünsche und Hoffnungen weit über den erhofften Schutz vor den Gefahren des Meeres hinaus, was sich im Mysterienkult widerspiegelt.
Die hohen
Feiertage, zu denen die Städte ihre Vertreter, die
Theoroi, entsandten, wurden wahrscheinlich im Sommer abgehalten.
Für die Pilger war bestens gesorgt. Die
Stoá, das größte Gebäude des Heiligtums mit über hundert Metern Länge und auf einer kleinen Anhöhe gelegen, war für ihren Aufenthalt bestimmt. In großen
Esssälen, etwas weiter unterhalb, wurden gemeinsame Mahlzeiten eingenommen.
Auffällig ist auch die
Rotunde der Arsinoi II aus dem 3. Jh. v. Chr., einem Weihegeschenk der gleichnamigen Königin, das als überdachter Rundbau mit zahlreichen Verzierungen innen und außen wahrscheinlich Versammlungszwecken diente.
Während der Feierlichkeiten wandelte eine Prozession von Altar zu Altar, um ihre Opfergaben darzubringen und zu beten.
Die Teilnahme an den Mysterien indes musste nicht unbedingt an den Feiertagen stattfinden. Jeder, der darum bat, konnte teilnehmen, unabhängig von sozialem Stand, Alter oder Geschlecht.
Zahlreiche bekannte Persönlichkeiten haben an den Mysterien von Samothráki teilgenommen. Dazu gehört der Historiker Herodot, sowie der König von Sparta, Lyssandros, ebenso wie Platon, Aristoteles, Odysseus, Agamemnon, Herakles, Iason und die Argonauten.
Die Mysterien
Der Mysterienkult wurde in zwei verschiedenen Abschnitten vollzogen. Den ersten Teil nannte man
Mýesis (Einweihung) und die Teilnehmer μύσται – Místai. Der zweite Teil wurde als
Epóptia (Aufnahme) bezeichnet, die Teilnehmer waren die επόπται – Epóptai.
Die Riten sind nicht als statische, immer gleichförmige Handlungen zu verstehen, sondern unterlagen über die Jahrhunderte hinweg Entwicklungen und Änderungen.
Die Mysterien als geheime Initiationsrituale hatten zum Ziel, einen Bewusstseinswandel der Kandidaten durch eine direkte göttliche Erfahrung zu erlangen. Sie erzielten Privilegien und erhofften sich dadurch auch ein glückliches Leben nach dem Tod.
Die Teilnahme an den Mysterien war freiwillig und wurde immer bei Nacht im Fackelschein vollzogen. Dabei bediente man sich verschiedener Kultsymbole wie Öllampen mit den eingeritzten Zeichen Θ oder ΘΕ = ΘΕΟΣ = Gott und magnetische Eisenringe, die bei Ausgrabungen gefunden wurden.
Mýesis
Eine Interpretation besagt, dass der Kandidat zunächst in der Halle der Chortänzerinnen formell eingeführt wurde. Danach wurde er mit verbundenen Augen in die
Sakristei neben dem
Anaktoron geführt, wo er sich ein weißes Gewand anzog und einen Purpurgürtel um die Taille legte und weitere Zeremoniensymbole erhielt. Danach reinigte er sich an der Zisterne am Eingang des Anaktorons, brachte seine Opfergaben dar und setzte sich auf einer Plattform nieder. Nach einer Weile begab er sich in das
Adyton, das Allerheiligste innerhalb des Anaktorons, in dem ihm der Priester mystische Symbole offenbarte. Am Ende kehrte er in die Sakristei zurück.
Epóptia
Im
Hieron, einem weiteren, großartigen Bau, fand wahrscheinlich die Epóptia, der zweite Teil der Mysterien, statt.
Im Unterschied zur Mýesis mussten die Kandidaten hier vor dem Priester eine Beichte ablegen. Nach der Läuterung (Reinigung am Becken) wurde ein Tieropfer dargebracht. Im Anschluss zelebrierte ein Priester eine Liturgie vor der Altarstätte und zeigte dem Geweihten mystische Symbole.
In mehreren Quellen werden die kultischen Handlungen der Myesis und Epoptia in dieser Art und in Verbindung mit den erwähnten Gebäuden beschrieben, doch
Dimitris Mastas, Archäologe und Herausgeber des Faltblattes zum Heiligtum, widerspricht dem und schreibt vielmehr:
„Aus Schriftquellen sind drei wichtige Details der Initiation auf Samothráki, die des Nachts stattfanden, bekannt:
1. Der Priester bat den Kandidaten, die gesetzesloseste Tat zu benennen, die er jemals begangen hatte.
2. Die Kandidaten banden sich rote Gürtel um ihre Taillen.
3. Die Kandidaten erhielten eiserne, magnetische Ringe als Zeichen ihrer Einweihung und um eine Form der religiösen Zusammengehörigkeit zu demonstrieren.
(…)
Weder archäologische Beweise noch die Literatur sind bis heute in der Lage, den Schleier des Geheimnisses zu lüften, der den Kult der Mysterien bedeckt.“