Athen - Widerstandscamp
am Syntagma-Platz


Tatsächlich haben wir keine Probleme gehabt, noch eine Nacht im Hotel Cecil hinzuzubuchen. Die Vorfreude auf den Museumsbesuch ist groß, als wir am frühen Vormittag zum nahen Syntagma-Platz spazieren. Doch zunächst wird unsere Aufmerksamkeit auf ein Widerstandscamp gelenkt, das im unteren Teil, also noch unterhalb der breiten Treppen, die zum Regierungsgebäude führen, errichtet worden ist.



Zelte sind im Schatten unter den Bäumen aufgestellt. An einem Organisationsstand sind die Themen von Arbeitsgruppen (z.B. Rechtsberatung, Aktion Künstler, Obdachlose, Kochgruppe, Reinigung, Kommunikation, Deeskalation u.a.) auf einer Tafel angeschlagen. Daneben Tipps und Listen, was man benötigt, wenn man mitcampieren will. Man erhält den Eindruck, dass sich hier jeder politisch einbringen und mitdiskutieren kann. Auch eine Erste Hilfe ist organisiert.



Über allem das menschliche Leben

Transparente mit unterschiedlichen Forderungen wurden angebracht, fast alle auf Griechisch. Der Tenor lautet: Wir zahlen nicht die Zeche der "da oben"! Für eine direkte Demokratie!


Unmittelbare Demokratie überall - Soziale Kontrolle, Volksgesetzgebung, Solidarität


Das Mittelfristige kommt, die Demokratie geht (Sie haben uns sogar die Unterhosen weggenommen)


Sei die Wende, die du sehen möchtest


Ruhige Platía


Nie wieder Faschismus


Freiheit - Aufstand - Demokratie

Auch Aussagen zu speziellen Problematiken kommen zum Ausdruck, wie ein „Nein zu Privatisierungen und zur Vernichtung der Viehzucht in Epirus", die „Ablehnung der Autobahnmaut" oder Forderungen arbeitsloser Rettungssanitäter:


Keine weiteren Helfer ohne Ausbildung auf den Sanitätswagen!

Am oberen Ende des Camps, in der Nähe des Präsidentenpalastes, ein „Nein zu einer Weltregierung“ und Forderungen nach „35 bzw. 37 Jahren Lebensarbeitszeit bis 60“.


Der 29. Juni 2011 wird als Datum genannt, seit dem es auch in Griechenland eine Intifada gibt, der Tag, an dem eines der größten Sparpakete (insbes. Steuerhöhungen) beschlossen wurde, das für viele Menschen im Land einschneidende Veränderungen mit sich bringen wird. Am Tag davor und am 29.06. selbst hatte es aufgrund des Beschlusses massive und gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei gegeben.

Nirgends findet man – wie man uns in der Boulevardpresse in Deutschland Glauben machen will – Feindseligkeit gegenüber deutschen Touristen. Bis hierher hat es auf unserer Reise noch niemanden gegeben, der sich auf dieser Schiene bewegt und mich als Deutsche stellvertretend verantwortlich gemacht hätte für die Europapolitik der deutschen Bundesregierung oder in der Folge für die aktuellen Regierungsbeschlüsse in Griechenland. Ganz im Gegenteil ist es eher so, dass man innenpolitisch diskutiert und bemüht ist, sich mehr Hintergrundwissen über die Zusammenhänge zu verschaffen. So jedenfalls erleben wir die verbalen politischen Auseinandersetzungen.
Oberhalb der Treppe, neben der breiten, mehrspurigen Hauptstraße, hängt lediglich ein Transparent, auf dem die „deutschen Freunde“ konkret (auf Griechisch) angesprochen werden: „Wir wollen nicht euer Geld, sondern die Köpfe eurer Golden Boys. (Dafür schicken wir euch die der unseren).“


Den Aufständen in Syrien ist ebenfalls ein Stand gewidmet, mit grausamen Bildern von Getöteten. Zwischen den einzelnen Ständen wirken die Straßenverkäufer aus Asien und Afrika etwas wundersam.


Und dabei könnten auch sie Querverbindungen ziehen, haben jedoch keine Lobby, auch nicht bei den Widerständlern, zumindest nicht schriftlich dargestellt. Als Globalisierungsverlierer fänden sie sich wohl am ehesten in der Forderung nach einer „Globalen Revolution“ wieder.


Vor dem Parlament findet gerade ein Wachwechsel statt. Die beiden „Neuen“ sind schon da, salutieren vor dem Denkmal, von einer japanischen Reisegruppe aus allen Positionen gefilmt und fotografiert. Im Angesicht des Widerstandscamps geht das touristische Leben unbeirrt weiter.




Die Evzonen treten jetzt rückwärts und zur Seite, um mit langsamen, ausholenden Schritten synchron zu den beiden Wachhäuschen zu treten, die das Denkmal, eine Mauer mit dem Relief eines gefallenen Soldaten und verschiedenen Inschriften, flankieren.


Ein Wachhabender in Tarnuniform kümmert sich wie immer um die äußerlichen Belange. Schweißtropfen werden von der Stirn der jungen Evzonen gewischt, die dabei mit stoischer Gelassenheit und starrem Blick ihre Schicht aufgenommen haben. Auch die Kleider werden vom dritten Mann zurechtgezuppelt, die Falten nach einem bestimmten Muster geordnet.
Nachdem er fertig ist, stürzen sofort einige Japanerinnen hinzu, um sich mit den schmucken Männern fotografieren zu lassen.
Auf der Terrasse des Präsidentenpalastes gehen einige Security-Leute auf und ab, schauen wohl, ob sich in Blicknähe etwas zusammenbraut. Nein, alles ist friedlich, bis auf einmal eine ältere Frau auf den Platz kommt, und (auf Griechisch) nach oben schreit: „Ihr Unnützen, Ihr stehlt uns unsere Rente!!!!!“ Der Wächter hoch oben spricht sofort in sein Funkgerät, doch man erkennt, dass es sich (zumindest in dieser Situation) nur um eine einzelne Person handelt, die ihrer Meinung Ausdruck verleiht. Im Weggehen schimpft die Frau immer noch laut weiter.
Wir flüchten vor der Hitze in den Schatten, suchen neben dem Platz, an einer Bushaltestelle, eine Sitzgelegenheit. Die Einfahrt in die Tiefgarage, die wir dabei passieren, ist jedenfalls streng bewacht, aber wahrscheinlich ist sie das immer.
Uns wundert, dass nur wenige Meter entfernt vom Präsidentensitz (zumal nach den Auseinandersetzungen ein paar Tage zuvor) ein Camp mit vielen eindeutigen Spruchbändern geduldet wird. Man stelle sich das in Deutschland vor, auf der Wiese vor dem Reichstag ein Zeltdorf mit außerparlamentarischen Regierungskritikern!
Wie wir ein paar Tage später den Nachrichten entnehmen, wurde das Camp in Athen jedoch aufgelöst.
Bevor wir uns das eigentliche Ziel, das neue Museum, vornehmen, gönnen wir uns noch eine kleine Kaffeepause in einem der Läden neben dem Platz. Schräg gegenüber ein ausgebrannter Kiosk – Opfer der Auseinandersetzungen oder ein Unfall?


Irgendwie können wir doch nicht mal eben zur touristischen Tagesordnung übergehen. Obwohl man als Tourist in diesen Tagen großen Unmutes der Bevölkerung nicht direkt beteiligt ist, zeigt sich die Verunsicherung der einzelnen Menschen, die wir überall im Land spüren, sehr deutlich. Als Beispiel für die Einschränkungen seien nicht nur (drastische) Gehalts- und Rentenkürzungen im öffentlichen Dienst und bei anderen Angestellten genannt, sondern es werden auch Außenstellen von Behörden stillgelegt, die der ländlichen Bevölkerung das Leben erleichterten. Wie wir erfahren haben, wird z.B. das Finanzamt von Timbáki in Südkreta geschlossen, was dann wohl bewirkt, dass man für jede Kleinigkeit nach Iráklio brettern muss. Aber das werden wohl noch die kleineren Übel sein.

Auf den Inseln sei es anders als in den beiden Großstädten auf dem Festland, hat mir ein älterer Mann auf Naxos erzählt. Es habe sich überhaupt nichts verändert. Jeder habe doch seine kleine Landwirtschaft mit Feldern und/oder Tieren, zumindest jedoch seinen Garten. Und der Tourismus boomt. Nein, wirkliche Einbußen ließen sich nicht verzeichnen, hier reiche es für alle. Tatsächlich mögen sich diejenigen glücklich schätzen, die ihre Nahrungsmittel selbst anbauen bzw. produzieren. Ängste sind spürbar, und jeder meint, dass viele Bewohnern Athens und Thessalonikis am ehestens betroffen sein werden.

Spannend werden auch weitere Diskussionen, die wir auf unserer Reise führen werden, aus den verschiedenen Blickwinkeln (Deutschland – Griechenland) um die Renten sein. Als ich nämlich erzähle, wie man durch die Rentenreform vor einigen Jahren in Deutschland die Rente eines Menschen, der sein Leben lang gearbeitet und nicht unbedingt schlecht verdient hat, zusammengestrichen hat, da macht so mancher griechische Gesprächspartner große Augen. „It’ s not much“, was viele noch erhalten (werden). Recht hat er, und ich weiß auch nicht, ob das deutsche Rentensystem als Vorlage für andere Länder unbedingt so erstrebenswert ist. Bezahlbar muss es sein, klar, aber wenn es stimmt, dass schätzungsweise 130 Milliarden Euro Schwarzgelder aus Deutschland auf Schweizer Banken liegen und ein Gesetz verabschiedet werden soll, wonach die Steuerhinterzieher nicht mehr belangt werden können (Spiegelbericht vom 13.08.2011), da stellen sich mir auch die Nackenhaare auf: 130 Milliarden unversteuerter Euros sind auch in Deutschland immer noch viel Geld. Damit könnte man den Rentenbeziehern kleinerer Einkommen das Leben erleichtern, könnte mehr für Bildung und Kinderkrippen tun usw. Die deutschen Medien brauchen also nicht mit dem Finger auf das „korrupte Griechenland“ zu zeigen.
In Hellas sind bezüglich der Renten das Oster- und Urlaubsgeld weggefallen, und zwar für alle. Egal, wieviel Rente man bekommt. Staatsbediensteten geht es jetzt richtig ans Leder. Wer z.B. mit knapp unter 60 seine Anwartschaftszeit erfüllt hatte und sich beschwingt und mit guter Rente aufs Altenteil begeben hat, muss sich jetzt damit auseinandersetzen, dass ihm monatlich ein paar hundert Euro abgezogen werden. Nix mit Besitzstand, keine Übergangszeit! Die Einschnitte sind spürbar und sehr drastisch.
Auch die Kleinrenten wurden im Nachhinein per Gesetz beschnitten. Richtig rührend fand ich die Worte eines über Achtzigjährigen, der meinte: „Ich habe 400 Euro Rente im Monat. Jetzt ist das Oster- und Urlaubsgeld weggefallen, vielleicht kürzen sie noch mehr. Aber wenn ich dem Staat mit 30 oder 40 Euro helfen kann, dann tue ich es gerne!“
Solche Gedanken bewegen uns, als wir in einem Café in Sichtweite zum Parlament sitzen. Das Lokal ist ganz gut besucht, so wie auch die Restaurants und Bars, eher weniger von Touristen als von Einheimischen, als ob man sich beweisen möchte, dass die Krise nicht wirklich ist, nur ideell, denn einige warten – trotz Kürzungen im eigenen Budget - noch auf ihr Eintreffen, wie man uns erklärt. „Sie haben mir zwar die Rente um 50 Euro gekürzt, aber die Krise ist hier noch nicht eingetroffen!“

Und viele junge Leute scheinen völlig unberührt davon, wie man der sommerlichen Feierlaune bis tief in die Nacht überall entnehmen kann. Aber vielleicht sind es wirklich die Privilegierten, nicht diejenigen, die im elterlichen Restaurant ihre 10-Stunden-Schichten und länger schieben.
Jegliche Pauschalierung verbietet sich sowieso. Es gibt sicherlich auch in Griechenland Nutznießer der Situation, und einige superreiche Großverdiener werden es schon – wie überall auf der Welt – verstehen, sich ihre Pfründe zu sichern und von der Situation zu profitieren. Wir haben den Eindruck, dass der Volkszorn sich insbesondere gegen „die da oben“ richtet und als Alternative mehr direkte Demokratie gewünscht ist.


Besuch des Akopolis-Museums



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