Fissái Kóntra



Jeden Freitag gibt es Livemusik bei Kóstas und Katharína, die in den Sommermonaten das Lokal am Ortsausgang von Armenistís, in Richtung Nas, bewirtschaften. Der Name der Taverne, "Fissái Kóntra", leitet sich von den Windrichtungen ab, die Kóstas hier beobachtet hat. Kommt der Wind vom Meer, weht er nämlich nicht direkt in die Bucht, sondern auf den gegenüberliegenden Hügel und wird von dort "zurückgeworfen". Man kann den Ausdruck jedoch auch mit "gegen den Strom" übersetzen, was Kóstas lachend bestätigt. Manchmal spielen die Musiker aber auch mittwochs, so wie heute, an unserem letzten Abend.

Wir haben extra einen Tisch vorbestellt, was sehr zu empfehlen ist. Ab 21.00 Uhr füllt sich das Lokal recht schnell. Die Arbeiten, um den Ansturm zu bewältigen, sind gut aufgeteilt: Kóstas am Grill, Katharína in der Küche, der erwachsene Sohn beim Schälen und Schnipseln von allem, was benötigt wird. Eine liebevoll aufgemachte, mit kleinen Muscheln beklebte Speisekarte lädt zum Gaumenschmaus.

Ein Koch schaut sich die Gäste an und unterbreitet ihnen die Vorschläge, die seiner Meinung nach am besten zu ihnen passen. Für uns hat er sich Gazikáki aus dem Backofen ausgedacht. Doch zuvor frönen wir erst einmal einigen Vorspeisen: gebratene Zucchinischeiben, Käsekroketten mit noch einer Extraportion gut gewürztem Ziegenkäse in der Mitte, Tomatensalat, Oliven und Skordaliá, die beste, die wir im Urlaub bisher gegessen haben. Alles ist ganz frisch zubereitet.

Nachdem wir schon am Nachmittag auf einen Frappé da waren und uns näher mit den beiden bekannt gemacht haben, erleben wir eine besondere Gastfreundschaft. Zwischendurch nämlich kommen unsere Wirte trotz erheblichen Stresses immer wieder und fragen, ob alles nach unseren Wünschen ist.
Dazwischen eilt eine Angestellte mit Turbanfrisur, eine Zypriotin, zu den neuen Gästen, weist ihnen Tische zu, nimmt Bestellungen entgegen, bringt Essen heraus, weist die Aushilfe an, scherzt und redet mit den Gästen und trägt auf diese Weise sehr zum Gelingen des Abends bei.

Die Musiker, die von der Insel kommen, spielen schon seit 20.00 Uhr Instrumentalstücke mit Bouzoúki, Gitarre und Violine: das klassische Rembétiko-Trio. Sie sitzen nicht etwa auf einer Bühne, sondern an einem Tisch in der Ecke, vor sich ihre Getränke.

Ein fantastischer Blick auf das Meer, das sich mittlerweile wieder etwas beruhigt hat, und Armenistís in dieser Neumondnacht, die Milchstraße über uns, die kulinarische Köstlichkeiten, von Rembétiko-Musik begleitet, lassen unseren letzten Abend zu einem echten Genuss werden.

Ganz unterschiedliche Gäste haben sich hier zusammengefunden. Da betritt eine Paréa von vermutlich Deutschen die Szene, auch sie haben augenscheinlich vorbestellt, noch etwas unsicher dreinschauend. Ein älteres deutsches Paar, nach der Hautfarbe wohl gerade erst angekommen, schlürft einen O-Saft und scheint eher zufällig herein geraten zu sein, ist aber fasziniert von der Livemusik und rückt immer näher an den Tisch mit den Musikanten heran.
Vier jüngere Männer aus Avstría haben am Tisch hinter uns Platz genommen, rauchen den ganzen Abend, was das Zeug hält und scheinen eher in ihre Gespräche vertieft zu sein, genießen den Abend auf ihre Weise. Ansonsten sind es jüngere bis mittelalte Griechen, die die Szene prägen, zum Teil auch „Freaks“, die vielleicht am Strand von Nas campieren, teilweise aber auch in den Pensionen von Armenistís wohnen.

Da gibt es zwei jüngere Frauen, schätzungsweise in den Dreißigern, Schwestern aus Athen, wie wir später erfahren, beide sehr lebenslustig, powern sich aus, singen und tanzen. Eine der beiden wird nach Mitternacht Geburtstag haben und gebührend hineinfeiern.
Ein anderes, noch jüngeres Paar ist eingetroffen, sie etwas verhalten, er mit einem breiten Grinsen im Gesicht und leuchtenden Augen, voller Vorfreude auf das, was da kommen wird. Animiert durch die bekannten Stücke, die die Musiker spielen, tanzt er auch den einen oder anderen Zembékiko. Völlig begeistert vom eigenen Tanz und dem Gemeinschaftsgefühl, das er durch die anderen Tavernenbesucher erfährt, die ihn klatschend begleitet haben, kommt er an seinen Tisch zurück und ruft, die Arme ausbreitend, nach Boris-Becker-Manier in die Runde: „Ich liebe euch alle!“

Junge Frauen schließen sich zu einem Reigen zusammen, als der erste Ikariókitos gespielt wird, jauchzen vor Vergnügen. Angeführt wird die Reihe von einer durch ihre Jugendlichkeit und anmutigen Bewegungen auffallenden Schönheit, die sich wirklich zu bewegen weiß. Immer wieder die langsamen, stampfenden Schritte, tiefes Bücken bis hinab in die Hocke, dabei die Hüfte mit geschlossenen Beinen ständig nach rechts und links drehend, um anschließend diese Tanzhaltung aufzulösen und wieder aufzutauchen, eine aufrechte, stolze Haltung einzunehmen. Dabei begleitet sie sich selbst durch ein immer wiederkehrendes, lautes Zischen. Später sollen wir noch mehr von ihr sehen.

Eine andere Tänzerin mit langem schwarzen Haar und ebenso anmutigen Bewegungen vermittelt in ihrem Blick eher Traurigkeit. Das ist es vielleicht auch, was den Unterschied ausmacht: Der Ausdruck der Lebensfreude und die Offenheit, mit der getanzt wird, oder die Melancholie.

Zwei Grazien betreten die Bühne: Eine im gewagt offenen, trägerlosen Kleid, das immer wieder prüfend nach oben gezuppelt wird, und eine andere mit extravaganter Frisur und adligem Blick, unnahbar. Beide halten sich an ihren Handys fest, simulieren einen wichtigen Anruf, verlassen das Lokal jedoch recht schnell wieder, da kein Tisch mehr frei ist.
Allerdings kehren sie nach wenigen Minuten wieder zurück. Es ist wohl die Aussicht auf einen Abend mit Musik, den sie sich nicht entgehen lassen wollen. Nachdem doch noch zwei Stühle an einen Tisch in der Mitte gerückt wurden und man Platz genommen hat, verschwinden auch die Handys in den Taschen und bleiben dort den ganzen Abend.

Drei Mädchen in Babydolls erwecken den Eindruck, nicht älter als fünfzehn zu sein, was wir aber nicht glauben. Allerdings ist ihre Show ein wenig zu dick aufgetragen. Unablässig rauchend sitzen sie umgeben von einigen Jungs in der Sicherheit ihrer Paréa und bemühen sich darum, jugendlich-schön zu sein.

Mittlerweile sind die Musiker so richtig in Fahrt gekommen und intonieren auch mehrstimmigen Gesang. Alte und neue Lieder, ihr Repertoire scheint unerschöpflich. Es wird laut mitgesungen und getanzt, Stunde um Stunde. Die beiden jungen Frauen, die sich so wundervoll bewegen können, haben sich mittlerweile zum Tisch der Musiker gesellt. Wann immer jemand tanzen möchte, zögern sie nicht, Partner zu sein, den oder die andere hochleben zu lassen, indem sie sie mit Klatschen begleiten und so auch die restlichen Gäste anregen, einfach mitzumachen.
Der Höhepunkt ihrer Darbietung besteht jedoch aus einem Bauchtanz, der erotischer nicht sein könnte. Ein Tsiftetéli um ein Weinglas herum, das jemand auf den Boden gestellt hat. Schlangengleich winden sich ihre Körper, jede ihrer langsamen Bewegungen extra betont.
Lange, fast eine halbe Stunde, dauert die Darbietung. Schweißperlen laufen über die Haut, werden ignoriert. Immer weiter spielen die Musiker, reizen zu immer ausgefeilteren Bewegungen, dazu das unablässige Zischen einer der Tänzerinnen. Einfach fantastisch und bewundernswert, diese Grazie und Schönheit. So könnte es noch lange weitergehen, doch die Musiker legen ein kleines Päuschen ein.

Nachdem schon Tische zusammengeschoben wurden, um diese kleine Tanzfläche in der Mitte zu formen, schließen sich die Gäste immer enger zusammen, denn nun stehen fast alle Tische auf der einen Seite der Taverne zusammen.
Eine ältere, rundliche Frau, die die Musikanten mit Holzlöffeln klappernd kastagnettengleich begleitet, versteht es, sich mit Drehbewegungen in einen Rausch zu tanzen; einer ihrer Tanzpartner ist ein mittelalter Grieche mit rotem, hinten geschlitzten Hemd, der nur barfuss tanzt und den Ikariótikos hervorragend zu interpretieren weiß. Später massiert er an einem der Gemeinschaftstische einer anderen Frau die Kopfschmerzen weg. Offensichtlich haben seine Hände heilende Wirkung. Auch der Ausschnitt ihres Kleides hat sich dabei etwas mehr geöffnet.

Mittlerweile hat Kóstas, der Wirt, sich verabschiedet. Er fährt für einen Tag nach Athen, muss Stühle abholen.
Die tolle Tänzerin ist mittlerweile alkoholmäßig arg hinüber. Bei einem letzten Tanz gibt es doch erhebliche Gleichgewichtsprobleme, einmal fasst sie kurz in mein Bierglas, um sich abzustützen, was wohlwollend lachend wahrgenommen wird. Doch nach diesem Auftritt verschwindet sie für einige Zeit schlafend in der Versenkung.

Um Mitternacht wird auf den Geburtstag einer der beiden Athener Schwestern angestoßen. Sie feiert so richtig ausgelassen und meint, am Sonntag müsse sie wieder zurück nach Athen, „zu den Verrückten“, aber heute würde gefeiert. Sie selbst findet es so schön, dass sich heute Abend lauter Fremde zusammengefunden haben, um zwanglos zu feiern. Und entgegen unserer Vermutung, dass es sich um Menschen handelt, die sich schon lange kennen, meint sie, nein, sie wären sich heute zum ersten Mal begegnet.

Gegen zwei Uhr in der Früh lassen die Musiker ihre Instrumente sinken, fast sechs Stunden haben sie gespielt. Doch der schöne Abend ist noch nicht vorbei. Jetzt übernehmen die Gäste, singen alle bekannten Lieder, kreuz und quer, zumeist die alten Lieder, bis in den frühen Morgen hinein.

Die schöne Tänzerin ist mittlerweile wieder aufgewacht, versucht sich an einem Eis, doch die Koordination von Hand und Mund klappt noch nicht so richtig.
Als wir irgendwann gehen, wünscht uns die Geburtstagsrunde eine gute Reise und vor allem, dass wir die gewonnene Energie zu Hause gut nutzen können, dass sie bis zum nächsten Jahr reichen möge, bis wir wieder nach Ikaría zurückkommen. Und mit feuchten Augen fügt das Athener Geburtstagskind an: „Auf dass ihr immer glücklich zusammen sein werdet!“

Rückkehr nach Piräus