Superpuma und Panighíri



Nachdem wir den Tag gemütlich im Hof verbracht und unser neues Zimmer bezogen haben, treiben wir mit einem Mittagsschläfchen den letzten Rest Reisetaubheit der vergangenen Tage aus den Gliedern. Wir sind zu Neuem bereit.


Superpuma
Am späten Nachmittag machen wir uns auf den Weg nach Gialiskári, einem kleinen Fischerdorf, etwa fünf Kilometer von Armenistís entfernt. Im Rahmen der Ikariáda 2008, unter dem Motto „Die Geburt des Fluges“, möchten auch wir uns das Spektakel um den „Superpuma“ nicht entgehen lassen.
Es ist bullig heiß, die Luft steht.
Der Weg nach Gialiskári zieht sich etwas, da wir auf der gewundenen Hauptstraße gehen. Von hier aus hat man jedoch einen wunderschönen Blick auf die beiden Strände Livádhi (bei Armenistís) und Mesachtí (bei Gialiskári), die nur durch eine Felsnase voneinander getrennt sind. Feiner Sand und klares Wasser versprechen einen Traumbadeurlaub.

Von der Straße aus sehen wir einen Fluss, ein fast stehendes Gewässer, von unzähligen Sträuchern und Bambus umstanden, der sich in Richtung Meer windet.
Als wir auf der Höhe des Strandes von Mesachtí ankommen, hören wir laute Musik, die aus einer der Strandbuden kommt und einen großen Teil des Strandes beschallt. Zahlreiche Autos säumen die Straße. Viele Menschen haben sich bereits am Ufer versammelt, sodass wir davon ausgehen, dass der Event auch hier stattfinden wird. Oben, auf einem kleinen Hügel in entgegengesetzter Richtung des Strandes, steht ein kleinerer roter Hubschrauber. Ob das der „Superpuma“ ist?

Die wenigen Meter gehen wir über einen Pfad hinunter zum Strand und suchen uns ein gutes Plätzchen bei den Sonnenschirmen und Liegen. Einige sind schon verwaist, sodass wir dort zwischendurch mal den Schädel abkühlen können. Der Wind hat merklich aufgefrischt, höhere Wellen knallen auf den Strand, sodass die Gischt die Wartenden ganz vorne am Meeressaum einhüllt.


Es herrscht gesprächig-abwartende Spannung auf das, was da kommen mag. Für die offiziellen Vertreter sind vor der Strandkantina Bank- und Tischreihen parallel zum Ufer mit Sicht auf das Meer aufgestellt worden. Noch sind die Gäste nicht eingetroffen. Auf einem der Bänke weiter hinten sitzt ein Hüne von einem Mann im Taucheranzug und mit Schwimmflossen, die er lässig in der Hand hält. Es kann sich eigentlich nur um einen Kampftaucher handeln. Zwar cool, aber doch merklich angetan genießt er die bewundernden Blicke nicht nur der weiblichen Zuschauerschaft auf seinen durchtrainierten Body.

Gegen 18.00 Uhr treffen die Hauptgäste ein und nehmen Platz. Anwesend sind unter anderem hochrangige Offiziere der Marine, der oberste Chef der griechischen Luftwaffe, der Metropolit mit seinem Rávdos (Hirtenstab) und der Vizeminister der Handelsmarine. Die Gäste lassen anhand ihrer Blicke und Gesten erkennen, wie die Machtverhältnisse sind. Einleitende Reden über die Lautsprecher weisen auf das Programm hin, das uns erwartet.


Jetzt wird uns klar, warum am Vortag so viele Passagiere hier auf der Insel von Bord unserer Fähre gegangen sind, denn wir erkennen etliche Mitreisende wieder, die jetzt mit Schreibblock und Kamera ausgestattet ihre Arbeit verrichten.

Von vielen Ah´s und Oh´s begleitet zeigt zunächst der Pilot des roten Hubschraubers, den wir auf dem Hügel gesehen haben, tolle Kunstfiguren: Rückwärtsfliegen, sich neigen oder auch im Sturzflug zur Erde fallen, um den Heli im letzten Moment noch abzufangen.


Das Hochsteigen gegen die Sonne könnte die Vermutung nahe legen, dass nicht die Hitze, sondern das Licht, das hier besonders hell erscheint, Ikarus zum Verhängnis wurde. Obwohl wir tatsächlich weder Fans von militärischen Selbstdarstellungen noch von Flugshows sind, sind wir, wie die anderen Zuschauer auch, von den Flugkünsten des Hubschrauberpiloten mächtig beeindruckt.

Im Anschluss zeigen Mitglieder des zivilen Katastrophenschutzes ihre Fahrkünste und die Wendigkeit und Schnelligkeit ihrer aufblasbaren Boote. Erst kürzlich wurde der Griechische Dachverband der aufblasbaren Boote gegründet, der sich verpflichtet hat, sich am zivilen Katastrophenschutz zu beteiligen, weshalb dieser mit zehntausend Euro finanziell vom Staat unterstützt wird. Das ist auch der Grund, dass diese Boote vor uns, aus fast allen Ecken Griechenlands kommend, eine kleine Flotte bilden – eines wurde von seinem Fahrer sogar aus Korfu bis hierher gefahren. Aufgrund der hohen Brandung finden die Manöver in einiger Entfernung zur Küste statt.


Als einer der Höhepunkte erfolgt die Simulation einer gelungenen Zusammenarbeit zwischen zivilen und militärischen Rettungsmannschaften.
Die Situation: Ein Taucher ist in Not geraten, hat sich unter Wasser in einem Netz verfangen und sitzt fest. Zu Hilfe eilt ein Boot der Küstenwache, das jedoch im Sturm mit einem anderen kollidiert. Dadurch verletzt sich einer der Männer an Bord schwer. Mittlerweile hat der Taucher unter Wasser Atemprobleme bekommen und müsste dringend auftauchen, was jedoch nur nach längerer Zeit des Druckausgleichs möglich wäre, die jedoch nicht mehr bleibt. Die Lage spitzt sich dramatisch zu.
In dieser verzwickten Situation kommt der Superpuma zum Einsatz, der mit einem mobilen OP und einer Unterdruckkammer versehen ist. Er startet live von der Insel Chios, seinem Stationierungsort, und jetzt warten alle gespannt, wie lange er brauchen wird.


Der Hochgeschwindigkeitshelikopter ist in wenigen Minuten da. Neben diesem Hubschrauber wirkt der zuerst Eingesetzte wie ein kleines Spielzeug.


Es beginnen die Rettungsmaßnahmen. Marinetaucher seilen sich ab.


Einer befreit den Taucher unter Wasser und wird innerhalb kurzer Zeit zusammen mit dem Verletzten in den Hubschrauber gezogen, der sich in der Simulation gleich auf den Weg in das nächste Krankenhaus macht. Zwei andere Taucher bergen den Verletzten vom Schiff und bringen ihn schwimmend die circa fünfhundert Meter bis zum Strand, wo er von bereits wartenden Hilfskräften ärztlich versorgt und schließlich abtransportiert wird.


Die gelungene Übung wird von der Bevölkerung jubelnd aufgenommen und der Einsatz des Superpuma von einigen Offiziellen später noch entsprechend erläutert. Er ist für eine größere Region zuständig, für Chios, Syros, Ikaria, Samos und andere Inseln in der Umgebung. Insbesondere jedoch wird die Bedeutung der zivilen Einsatzkräfte und die Kooperation mit den professionellen Helfern hervorgehoben und mit einer Medaillenvergabe durch ranghohe Militärs belohnt. Moderiert wird die Vergabe von niemand geringerem als dem Vizeminister der Handelsmarine.
Zum Abschluss der Show malen noch drei Mirage-Kampfjets Figuren an den Himmel.


Japan, Japan
Während der Vorführungen haben Alex und ich uns zwischendurch auf Deutsch unterhalten. Vor uns in der Menschenmenge steht ein älterer Ikarióte. Er hört uns sprechen, versteht jedoch nicht, in welcher Sprache. Da dreht er sich um, schaut Alex an. Das Gesicht des Mannes sieht so wettergegerbt aus wie das eines Fischers, der sein Leben auf dem Meer verbracht hat. Begeistert von dem, was er gerade erlebt hat, ruft er zu Alex herüber: „Japan! Japan!“ Alex schaut ihn verblüfft an.
Er ist es ja fast schon gewohnt, dass viele Griechen ihn nicht für einen Landsmann halten. Selbst auf einem Foto, das wir in Agia Galíni auf Kreta – oh Zufall bei den Dädalus-Ikarus-Skulpturen – vor zwei Jahren aufgenommen haben, hat er mit verstelltem Gesicht asiatische Züge. Dass man ihn aber tatsächlich für einen Japaner halten könnte, das wundert uns schon.

Der Ikariote merkt an den erstaunten Blicken, dass wir nicht verstehen, was er uns damit sagen will. Bekräftigend meint er „Japan! Japan! JAP! JAP!“
Wäre Alex tatsächlich ein Japaner gewesen, hätte er in diesem Moment vermutlich sein Samuraischwert gezogen.

Der Mann hat es sicherlich sehr freundlich gemeint, denn seine Vermutungen werden von fortwährendem Lachen begleitet. Schließlich meint Alex zu ihm auf Griechisch: “Warum, Kapetánie, Japan? Einen Mongolen habt ihr aus mir gemacht, auch einen Araber. Möchtet ihr jetzt aus mir auch noch einen Japaner machen? Ich bin Grieche, Mensch, wo siehst du denn hier einen Japaner?“
Augenblicklich friert das Lachen unseres Gesprächspartners ein und dann verstehen wir, wie die Redewendung „Jemandem fällt die Kinnlade herunter“ entstanden sein könnte. Mit unbewegtem Gesicht braucht es eine kleine Weile, bis der Mann begriffen hat, und wieder Leben in ihn kommt. Immer wieder dreht er sich zu uns um und lacht und ist letztendlich froh, dass der Japaner doch ein Grieche und mit einer guten Portion Humor ausgestattet ist.


Panighíri
Nach Beendigung der Show – mittlerweile ist auch die Sonne untergegangen – begeben sich die Menschen zum Fest, einem Panighíri, das um die Hafenkirche von Gialiskári herum stattfinden soll. Schon früher, wenn Fischer vom Sturm unversehrt zurückkehrten, wurde eine Dankesmesse gehalten, man hat eine Kerze angezündet und auch vor Freude getanzt – so etwas konnte sich dann schnell zu einem Volksfest entwickeln.

Lange Tischreihen sind um das Hafenbecken herum aufgestellt, Platz für weit über tausend Menschen. Es ist bereits eingedeckt. Sechshundert Kilo Fleisch und über tausend Liter Wein warten auf die Besucher, ebenso wie eine Musikkapelle, die später allen noch kräftig einheizen wird – die Kosten werden von der Gemeinde getragen, hier zahlt keiner etwas.

Ein einheimischer Geiger, ein Gitarrenspieler sowie ein Multitalent an der Bouzoúki, dem Laoúto und der Klarinette, ein Deutscher, wie wir erfahren, spielen Nissiótika, aber auch andere Stilrichtungen.


Für jeden Geschmack ist etwas dabei. Man tanzt einzeln oder zusammen im Reigen. Sängerinnen wechseln sich ab, es geht sehr ungezwungen zu.


Plötzlich erscheint der Vizeminister der Handelsmarine, klettert auf die Bühne und übernimmt die Rolle des Leadsängers. Viele Stunden bleibt er dort sitzen, singt jede Menge Lieder, hat mächtig Spaß und lässt die Puppen tanzen. Er ruft Bekannte beim Namen, und zack erscheinen sie auf der Tanzfläche und legen eine Sohle aufs Parkett!


Wie wir später erfahren, gibt es private Gründe, die ihn mit der Insel verbinden, denn seine Frau ist ikariotischen Ursprungs. Auf jeden Fall kommt sein Auftritt sehr gut an.

Erst viele Stunden später macht er sich mit seiner Familie auf den Heimweg, eines seiner Kinder huckepack auf den Schultern. Gaaanz unauffällige Bodyguards begleiten ihn, wichtig um sich schauend. Doch sicherlich werden noch andere, weniger auffällige Kräfte, für die Sicherheit des Politikers gesorgt haben.

Als wir uns am frühen Morgen losreißen, um uns auf den Heimweg zu machen, wird immer noch getanzt. Wahrscheinlich wird die Band spielen, bis auch der letzte Festteilnehmer nach Hause gegangen ist. Die fünf Kilometer zurück nach Armenistís ziehen sich gewaltig in die Länge. Erst gegen vier Uhr sinken wir müde ins Bett.

Rundgang durch Armenistís