Rückkehr nach Piräus
und Überfahrt nach Evdhilos



Gegen 6 Uhr morgens laufen wir in den Hafen von Piräus ein. Eine ganze Weile schon sind wir parallel zur Küste gefahren, als es langsam zu dämmern beginnt. Die Schwärze der Nacht weicht einem dunklen, geheimnisvollen Rot, das sich über der Stadt am Horizont ausbreitet.


Innerhalb weniger Minuten wird dieser rote Streifen immer breiter, verfärbt sich orange und gelb, das Meer nimmt eine violettfarbene Tönung an.


Mittlerweile hat unsere Fähre, die Kriti I, schon Anker geworfen, doch wir warten noch. Über der Kurve dort, bei der Metrostation, leuchtet ein famoses, feuerrotes Halbrund in diesem warmen, verheißungsvollen Morgenlicht.

Eine Wolke, von unten beschienen, spiegelt sich im Hafenwasser wider; auf den weißblanken Schiffsleibern wiederholt sich dieses Lichtspiel. Mit aller Kraft geht nun die Sonne auf und verspricht einen weiteren, heißen Tag.




Noch sind wir zu müde, um irgendwelche anspruchsvollen Tätigkeiten auszuführen oder uns im Menschengewühl wohlzufühlen. Nach dem Anlegemanöver warten wir daher noch eine Weile, um die Fähre erst mit den letzten Passagieren zu verlassen. Unterwegs im Schiffsinnern gibt es dann doch noch ein wenig Stau. Rechterhand ein Tresen, auf dem Kaffee ausgeschenkt wird. Oh, das ist aber toll. Für uns? Kostenlos sogar? Kann ich gar nicht glauben. „COFFFEE“ !!! werden wir von einem Besatzungsmitglied von der Seite angebellt! Mein Gott, man muss uns ja nicht gleich drohen! Ergeben nickend nehmen wir die beiden Kaffeebecher wortlos in Empfang. Der kommt jetzt richtig gut.

Nachdem wir als letzte unser Gepäck abgeholt haben, begeben wir uns hinein in das Gewusel des Hafens. Zig Fähren legen zu dieser Zeit ab. Die Katamarane sind die Stars mit ihrer Wendigkeit und dem Speed, mit dem sie zur Hafenausfahrt düsen. Im Hintergrund ein imposantes Kreuzfahrtschiff mit 15 Decks.

Wir beschließen, die Koffer im Gepäckschließfach der Metrostation unterzustellen. 3 € für 24 Stunden, für zwei Trolleys, einen größeren Rucksack und eine große Tasche. Da kann man nicht meckern.
Bei einem kleinen Spaziergang durch das Hafenareal entdecken wir den Schalter der Hellenic Seaways, wo wir unsere Tickets nach Ikaría kaufen. Vorsichtshalber fragen wir auch nach einer früheren und möglicherweise schnelleren Verbindung. Diese gäbe es gegebenenfalls, wenn überhaupt, nur bei der Konkurrenz, und genauere Auskünfte darüber bekommen wir an diesem Schalter verständlicherweise nicht. Die Unterhaltung wurde zunächst von mir auf Englisch, später von Alex auf Griechisch geführt. Wir sind erstaunt, als die Dame am Schalter ihm am Ende des Gesprächs bescheinigt, sein Griechisch wäre sehr gut. Als Grieche wird er von ihr nicht identifiziert, und wir belassen es auch dabei, amüsieren uns jedoch köstlich.

Ein Bummel entlang der Aktí Miaoúli, der breiten Hafenstraße, führt uns zur Passage „Stoá Spírou Douroúti“, schräg gegenüber dem Hafentor E 9, in ein Kafenío mit 5 kleinen Tischchen und einer Atmosphäre, wie sie in Schwarz-Weiß-Filmen aus früheren Jahrzehnten transportiert wird.
An der Wand, links vom Eingang, hängt eine Fotografie eines Hochseesegelschiffes in voller Beflaggung; daneben ein weiteres Foto mit dem Hafen von Piräus aus dem Jahr 1930, ohne Molen, weit entfernt von der heutigen Hightech-Logistik.

Das winzige Lokal weckt in uns Vorstellungen von einer Zeit, als nach der kleinasiatischen Katastrophe hunderttausende Griechen in den Städten Griechenlands, allen voran Piräus, Zuflucht suchten, arm, vertrieben und ohne Hoffnung auf ein besseres Leben. Aus diesem Gefühl heraus entstand der Rembétiko, eine musikalische Stilrichtung, zu deren populärsten Vertretern Vassílis Tsitsánis gehört, der bis heute in ganz Griechenland verehrt wird. Eine Abbildung von ihm und einer Band hängt neben dem Tresen.
Das Kafenio ist bestimmt nicht aus jener Zeit von vor 90 Jahren, aber so viel anders kann es damals auch nicht gewesen sein. Auf die Frage, wie lange es das Lokal schon gibt, meint die Wirtin achselzuckend: „Was weiß ich, 50 Jahre oder länger?“ Der Kühlschrank jedenfalls bezeugt dieses Alter. Solche Kühlschränke hat es schon in den 60er Jahren gegeben. Und das solide Stück funktioniert noch immer.

Ein Besucher betritt das Kafenío, setzt sich an einen Tisch und bekommt seinen Ellinikó, den er schweigend schlürft. Nur der eingeschaltete Fernseher brüllt seine mehrteilig auf dem Bildschirm zusammengesetzten Nachrichtenthemen in die engen vier Wände.

Um 9 Uhr öffnen die Geschäfte in der Stoá. Die Wirtsfrau des Kafeníos versorgt sogleich die Angestellten und Eigentümer der umliegenden Läden mit Getränken, vor allem mit Kaffee, den sie auf einem runden Tablett mit Henkel serviert.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Lokals befindet sich eine Agentur für nautische Belange. Man organisiert alles, vom Seemannsbuch bis hin zur kompletten Mannschaft.

Nachdem wir in Ruhe ausgetrunken haben, verlassen wir das Kafenío. Die Wirklichkeit außerhalb dieser Stoá ist eine andere: laut, hupend, lärmend und hektisch. Und so tauchen wir wieder auf aus dieser nostalgischen Stimmung, hinein in die Vorfreude auf den weiteren Verlauf unseres Urlaubs.

Ein Spaziergang durch die interessanten Backstreets, parallel zur Hafenfront, mit teils leerstehenden, verfallenden, alten Häusern, modernen Geschäften und Schiffsgenturen. In einem Antiquariat erstehen wir ein Buch zur Geschichte Griechenlands in den vergangenen 50 Jahren. Eine Querstraße ist zur Fußgängerzone umfunktioniert, in einer anderen finden wir die Reederei, bei der Alex 1971 angeheuert hatte. Die Büros befinden sich zusammen mit denen anderer Agenturen in einem mehrstöckigen, imposanten Haus.

Weiter schlendern wir schließlich zurück in Richtung Metro, zu den Wartebänken im Innern des Hafenareals. Hier werden im Minutentakt Waren aller Art durch fliegende Händler angeboten. Wir vermuten, dass der Straßenverkauf organisiert ist, es nervt unheimlich, doch wer weiß, welches Schicksal diese Menschen zu tragen haben, die offensichtlich nicht aus Griechenland kommen und deren einzige Chance möglicherweise nur in dieser Tätigkeit liegt, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Längst ist Griechenland mit seiner EU-Außengrenze zur Hoffnung vieler Menschen geworden, irgendwie in eines der mittel- oder nordeuropäischen Länder zu gelangen, mit der Zuversicht auf ein besseres Leben.
Diese Wirklichkeit und unsere, touristische, stehen im krassen Gegensatz zueinander. In diesem Bewusstsein, uns nicht durch die touristische Brille das Hirn zu vernebeln, und doch unserem eigenen Alltag für ein paar Wochen zu entfiehen, machen wir uns auf den Weg zu dem Schiff, das uns nach Ikaría bringen soll.

Die Níssos Mýkonos soll beim Eingang E 2 liegen, hat man uns gesagt. Angeblich gibt es einen Bus, der in der mittlerweile glühenden Hitze hinausfährt. Doch bevor wir lange nach einer Haltestelle suchen, entschließen wir uns zu Fuß zu gehen, so weit kann das nicht sein.

Schweißgebadet kommen wir am Tor E 2 an, doch von der Níssos Mýkonos keine Spur. Vielleicht hat sie Verspätung? Auf Nachfrage bei einem Polizisten, der dort Dienst tut, erfahren wir, dass unser Schiff heute beim Tor E 1 ablegt, und dass wir gut daran täten, uns ein Taxi zu besorgen, denn wir müssen um einen großen Gebäudekomplex herum, und die Zeit wird nun langsam knapp.
Gerade ist ein junger Mann in ein Taxi eingestiegen, ansonsten ist weit und breit kein anderes in Sicht. Er ist bereit, uns mitzunehmen und so wuchten wir uns mitsamt unserem Gepäck auf die Rückbank des Wagens. Im Sauseschritt fahren wir nun zu unserem Schiff und kommen an, als die letzten Passagiere gerade an Bord gehen.

Deckpassage heißt auf dem voll besetzten Schiff tatsächlich Außenbereich. Alle schattigen Plätze sind bereits besetzt. Auf dem Oberdeck gibt es noch Stuhlstapel, wo wir uns bedienen können. Irgendwo finden wir Platz und hoffen, auf der Fahrt nicht in der prallen Sonne sitzen zu müssen.


Die Mitreisenden sind fast alle Griechen. Wir wünschen uns, dass die meisten doch nach Samos weiterfahren und nicht in Ikaría aussteigen, denn nachdem, was wir im Vorfeld gelesen hatten, sollen auf Ikaría die touristischen Übernachtungsmöglichkeiten beschränkt sein und dass der einzige Ort, an dem überhaupt Tourismus stattfindet, Armenistís (unser Ziel) ist. Wir haben nämlich kein Zimmer vorbestellt. Warten wir es ab.

Immerhin haben wir jetzt ein paar Stunden der Entspannung vor uns, wo man nach der unruhigen Nacht auch mal die Augen ein wenig schließen kann. Eine schöne Atmosphäre haben wir hier um uns herum. Freaks, die in größerer Runde unterwegs sind, mit sich und ihrer Welt zufrieden, locker und fröhlich plaudernd. Auch eine englische, gut gelaunte Großrunde, die sich ohne Umschweife in die pralle Sonne gesetzt hat. Oh weia. Ohne Hüte auch noch. Griechische Eltern mit ihren Kindern und Paare beschäftigen sich ein wenig, lesen, dösen, spielen, reden.

Beim Ablegen des Schiffes stellen wir fest, dass unser Platz nicht der schlechteste ist, da er auch während der Fahrt im Schatten gelegen ist. Die Müdigkeit überkommt uns nun doch, als die Hitze bei Wind und mäßigem Schaukeln des Schiffes verfliegt. Immer wieder nicken wir ein.

Später gönnen wir uns ein sündhaft teures Eis. Einzig das Wasser hat relativ normale Preise, und davon brauchen wir reichlich. Wir passieren zunächst die Südspitze Attikas, das Kap Sounión mit dem Poseidontempel, den wir aus der Entfernung allerdings nicht sehen können, und nehmen die Route zwischen Kéa und Kíthnos, vorbei an der unbewohnten Exilinsel Gyáros, wo während der Juntazeit (1967 – 1974) in Griechenland Dissidenten interniert waren. Vom Meer aus zeigt sie sich unwirtlich und lebensfeindlich.

Nach dreieinhalbstündiger Fahrt erreichen wir Sýros/Ermoúpoli. Welche Pracht sich dort an die Hügel der Hauptstadt schmiegt. Eine Kykladenperle, deren erster Eindruck schöner kaum sein könnte.



Bald nachdem unsere Fähre angelegt hat, kommt ein Süßigkeitenverkäufer an Bord. Die griechischen Passagiere reißen ihm die Ware förmlich aus den Händen. Zu 5 € das Stück gibt es Lukúmia Syrianá, süßes, in Puderzucker gehülltes Gelee. Unsere Nachbarn bieten uns davon zum Probieren an. Eine Sünde!

Nachdem wir den Hafen von Sýros wieder verlassen haben, erkennen wir im Hintergrund die Insel Andros, bald auch Tínos. Die See wird immer rauer und das Schiff schaukelt so sehr, dass man sich gut festhalten muss, wenn man auf Deck herumgeht. Mittlerweile fegt der Wind durch den Teil der Fähre, wo wir uns niedergelassen haben, und zwar so kräftig und kühl, dass wir unsere Jacken anziehen müssen, während zwei Meter neben uns in der Sonne die Leute braten. Auf der anderen Schiffsseite gibt es zwar mehr Schatten, doch hier spritzt die Gischt bis auf das Oberdeck.
Uns bleibt nichts anderes übrig, als uns auch einen Platz in der Sonne zu suchen, denn im Wind ist es kaum auszuhalten. Gut eingecremt und mit unseren Hüten auf dem Kopf ziehen wir um ans Heck des Schiffes, wo wir zumindest dem Wind entgehen.

Gegen 19 Uhr erreichen wir schließlich Evdhilos, einen der beiden Häfen auf Ikaría, müde, mit salzverkrusteter Brille und klebriger Haut. Wir sind so gespannt auf das, was uns hier erwartet.
Die Hafenmole ist langgezogen und eng. Taxen stehen wie auf einer Schnur aufgezogen hintereinander. Eine Bushaltestelle ist nicht in Sicht, daher entschließen wir uns, ein Taxi zu nehmen. Diese sind jedoch schon alle besetzt, nur ganz vorne finden wir eine Fahrerin, die auf ihre Tante wartet und diese nach Armenistís bringen will. Wir dürfen mitfahren. Von der Tante ist jedoch erst einmal weit und breit keine Spur. Während wir warten, sehen wir die vielen Passagiere, die von Bord gehen. Wenn die alle nach Armenistís wollen, und der Ort nur so klein ist, oh je, hoffentlich bekommen wir da noch ein Zimmer. Uns schwebt eine Privatunterkunft mit eigener Dusche/WC für um die 30 bis 35 € vor. Es ist zwar mitten in der Saison und Ferienzeit in Griechenland, doch Ikaría ist nicht Mýkonos, und so hoffen wir einfach weiter. Wir warten und warten, alle Passagiere sind von Bord gekommen, das Schiff hat bereits das Ablegemanöver eingeleitet. Auch die meisten Taxen sind schon abgefahren, als sich eine ältere, gut gekleidete Dame nähert. Sie ist in Begleitung eines jungen Mannes, der ihr Gepäck auf einem Karren heranfährt. Während dieses in den Kofferraum geladen wird, hilft Alex der Frau in den Fond des Taxis.
Auf ihrem Schoß hält sie einen Blumentopf mit einem kleinen Basilikumstrauch, ein Mitbringsel, wie sie uns erklärt. Sie käme von Athen und würde jeden Sommer ein paar Wochen auf ihrer Heimatinsel verbringen. Dass sie alleine reist, finden wir beachtlich, denn die jüngste ist sie sicherlich nicht mehr und auch die Parkinson-Krankheit hat ihre Bewegungen und die Stimme gezeichnet. Doch ihre hellgrauen Augen sprühen nur so vor Lebensenergie und tiefgründigem Humor.

Unterwegs erzählt ihr die Taxisfahrerin, dass es am nächsten Tag eine Show mit dem „Superpuma“ in Gialiskári, einem Nachbarort von Armenistís, zu sehen gäbe. Die Dame scheint zu wissen, worum es sich bei dem Superpuma handelt. „Kostet das auch Geld?“, fragt sie mit hoher Stimme, augenscheinlich sehr interessiert an dem Event.

In Evdhilos staut sich der Verkehr. Die Hauptstraße, die vom Hafen hinauf in Richtung Armenistís führt, ist so schmal, dass keine zwei Fahrzeuge aneinander vorbeikommen, und so haben wir während der Wartezeit ein wenig Gelegenheit, die Atmosphäre in dem Örtchen auf uns wirken zu lassen. Nur wenige ausländische Touristen scheinen sich hier aufzuhalten, es sind, wie es scheint, eher Einheimische, die jetzt am Abend zur Vólta aufgebrochen sind. Die Cafés am Hafenrand sind besetzt, auch in den Nebenstraßen ist quirliges Leben erkennbar. Auf Anhieb gefällt mir der Ort so gut, dass ich auf die Idee komme, hier zu wohnen, falls wir in Armenistís keine Unterkunft mehr bekommen.

Die Fahrt führt auf einer Strecke von gut 15 Kilometern auf halber Höhe am Meer entlang, mit wunderschönen Ausblicken auf das Blau und den sich zusehends verfärbenden Himmel. Bereits jetzt können wir die landschaftliche Schönheit bewundern, erkennen den grünen Baumreichtum im Gegensatz zu anderen griechischen Inseln.

In Armenistís angekommen bringen wir zunächst die Dame zu ihrem Reiseziel. Die Taxifahrerin hilft uns danach, eine Unterkunft zu finden, indem sie den Ort von einem Ende aus abfährt und uns so von Quartier zu Quartier bringt, wo wir nachfragen können. Alle Unterkünfte kosten ab 50€ aufwärts. Es sei Sommer! Das kann echt nicht wahr sein. Obwohl ich mich nicht für geizig halte und viel Verständnis für Menschen habe, die versuchen, im Tourismusgeschäft zu überleben, sehe ich es absolut nicht ein, für ein Zimmer 50€ zu bezahlen, nur weil Juli oder August ist. Uns wird sogar eine Abstellkammer, getarnt als Studio, angeboten, für 60€.

Einzig im Ikaros finden wir eine Unterkunft, die unseren Preisvorstellungen entspricht. Allerdings müssen wir uns Dusche und WC mit anderen teilen. Och nee, das wollte ich doch nicht. Man verspricht uns, dass andere Zimmer mit eigener Dusche / WC in den nächsten Tagen frei würden, dann könnten wir umziehen. Mir schwant schon wieder so was wie letztes Jahr auf Samothráki, wo man uns tagelang hinhielt und das versprochene Zimmer hinterher der alleruntersten Kategorie und überhaupt nicht unseren Vorstellungen entsprach. Meine Laune befindet sich auf dem Tiefpunkt. Außerdem bin ich müde. Alex gelingt es, mich zu besänftigen und wir beschließen, spätestens am nächsten Tag weiterzufahren, wenn sich meine Befürchtungen bewahrheiten sollten. Wenn ich da gewusst hätte, wie schön unser Urlaub sich im Ikaros gestalten würde, hätte ich mir überhaupt keinen Kopf zu machen brauchen.

Erste Tuchfühlung mit Armenistís