In Piräus



Im wohl temperierten Zug der Athener Metro schaukeln wir im warmen Spätnachmittaglicht in Richtung Meer, die letzten Kilometer oberirdisch.

Erinnerungen an lange zurückliegende Meeresüberquerungen mit den großen Fähren und die eine mit einem Flying Dolphin von Iráklio nach Ios, die rein schaukeltechnisch im ostkretischen Meer einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat. Ganz im Gegensatz zu den mehrstöckigen Car Ferries, die behäbig im Wasser liegen. Ihre modernen Ausführungen mit Schiffsschrauben am Schiffsheck und –bug machen ordentlich „Dampf“, und aus den trägen Pötten werden wendige Wasserfahrzeuge, die die Anlegezeiten in den Häfen auf ein Minimum verkürzen: Kaum angekommen, ist man auch schon wieder weg!
Die Car Ferries, mit denen ich früher unterwegs war, als ich zeitlich nicht so eingebunden war, und es auf einen Tag, eine Woche, einen Monat mehr oder weniger nicht ankam, brauchten für solche Manöver wesentlich länger. Voller Ungeduld stand man im Schiffsbauch, um endlich die geliebte Insel zu betreten. LKW-Fahrer hatten bereits die Maschinen gestartet, Fußgängern drohte ein qualvoller Erstickungstod, bis endlich, noch während das Schiff manövrierte, die Laderampe ausgefahren wurde und ein wenig Sauerstoff hereinströmte.

Oder man genoss die lange Fahrtdauer zwischen Kreta und dem Festland, wenn man aus wirtschaftlich-existentiellen oder zwischenmenschlich-aufgewühlten Gründen Abstand brauchte, die volle Breite der kretischen See. Kräftiges Schaukeln des Schiffes bei Sturm und Gewitter wirkte weniger besorgniserregend als vielmehr beruhigend auf die angespannten Nerven, wie die Bewegungen in einer Babywiege. In der Zeit des Übergangs von der kretischen Welt in die europäische war man sicher vor Überraschungen und konnte seine Gedanken und Gefühle sortieren.

Es sind jetzt elf Jahre her, seit ich über die Adria kommend das Festland überquerte, um über das kretische Meer weiter nach Kreta zu fahren. Elf Jahre, seit ich das letzte Mal mit einer Fähre gefahren bin, elf Jahre, seit mich die Metro zur Endhaltestelle nach Piräus gebracht hat. Dazwischen lagen die Olympischen Spiele, für die verkehrstechnisch viel verändert wurde.

Die Ankunftshalle von Piräus sieht allerdings fast noch genau so aus wie früher, nur die kleinen Geschäfte vor Kopf neben dem Ausgang, der Ticketverkauf und die kleine Snackbar, in der man sich Frappé-nippend erfrischen konnte, gibt es nicht mehr. Auch der Left-Luggage-Raum, in dem früher einfach die Rucksäcke übereinandergeschichtet wurden, ist einem metallenen Gepäckschließfachblock gewichen.

Draußen ist es heiß, voll und laut. Der Verkehr nicht enden wollend, wie früher, unablässig vorbeidonnernd. Menschen quetschen sich auf dem schmalen Bürgersteig aneinander vorbei. Schnell haben wir unsere Tickets nach Iraklio in einem kleinen Shop an der Hafenstraße gekauft, natürlich Deckpassage, wie früher. Noch ist Zeit genug für eine ordentliche Mahlzeit. Der unerträgliche Verkehrslärm lässt uns in die rückwärtigen Straßen ausweichen, und so entdecken wir ein fantastisches Lokal, das zu unserem Stammlokal bei unseren Aufenthalten in Piräus avanciert. Es liegt in der Straße, schräg gegenüber des Hafentores E 10, vom Hafen aus gesehen auf der linken Straßenseite.


Wir bestellen ein paar Vorspeisen und jeder noch mal ein Hauptgericht, denn wir haben Hunger! Hätten wir die Ausmaße der Portionen erahnt, hätte weniger als die Hälfte des Bestellten bei weitem ausgereicht. Zum kulinarischen Genuss schwelgen wir bei einem Mythos in den Rembetikoliedern, die aus dem Radio ertönen. Gemütlichkeit und Ruhe kennzeichnen unsere Vorfreude auf die Nachtfähre. Nach dem üppigen Mal machen wir uns langsam auf den Weg zum Schiff.

Zur Erleichterung für die Hafenbesucher gibt es – und das ist für mich neu – neben der Metrostation eine Überführung über die vielbefahrene Hauptstraße am Hafen entlang, wo die Autofahrer vor roten Ampeln und angedeuteten Zebrastreifen nicht wirklich Respekt haben. Mit unserem Gepäck nehmen wir die Rolltreppen und lassen die Bilder des modernen Fährhafens von hier oben auf uns wirken, genießen die Seeluft und finden die großen, digitalen Leuchtanzeigen sehr sinnvoll, die – schon von weitem insbesondere für Autofahrer gut sichtbar – die jeweiligen Hafeneinfahrten kennzeichnen und anzeigen, wann und wo die nächsten Fähren abfahren.


Im Hafeninnern führt ein rot markierter Weg die Fußgänger sicher durch das Gelände. Uns gefällt dieser Service gut, müssen wir doch noch eine kleine Strecke bis zum Tor E 3 zurücklegen.


Und ganz vorzüglich, ohne dies an dieser Stelle wirklich vertiefen zu wollen, sind die wunderbaren öffentlichen Toiletten hier im Hafen. Von weitem gut sichtbar und permanent gereinigt und gewartet glänzen die Anlagen um die Wette. Dieser Service ist obendrein kostenlos, davon könnten sich Klobetreiber in Deutschland mal eine Riesenscheibe abschneiden!



Noch ist bis zum Ablegen des Schiffes viel Zeit. Entspannt gehen wir an Bord unserer großen Autofähre, der Kriti II, lassen unser schweres Gepäck unten in einem Extraabteil, in der Nähe des Ausgangs, und suchen uns auf einem oberen Deck eine gute, windgeschützte Stelle zum Übernachten. Einige Plätze sind bereits belegt, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Dort haben sich Roma niedergelassen. Gut geübt in solchen Überfahrten haben sie genügend kuschelige Decken dabei. Die Nachtlager sind schon bereitet, die ersten Leute schlafen bereits.
Blöderweise haben wir die Sommerschlafsäcke vergessen, die uns jetzt gute Dienste leisten würden. Na ja, so kalt wird es schon nicht werden.
Ein kleiner Erkundungsgang durch das Schiff bringt uns so richtig in Stimmung für die Fahrt. Von den oberen Decks aus bewundern wir die dicken Katamarane, die uns schon vom Ufer aus beeindruckt haben, und nehmen uns vor, irgendwann auch einmal damit zu fahren.


Am liebsten vertreibe ich mir vor dem Ablegen immer die Zeit am Heck und schaue zu, wie das Schiff beladen wird. Meine aufrichtige Bewunderung gilt den LKW-Fahrern, die routiniert und in unglaublicher Präzisionsarbeit rückwärts in den Schiffsbauch rangieren, um die Aufleger abzukoppeln und mit der Zugmaschine schnell wieder den Laderaum zu verlassen, um Platz für die Nachfolger zu machen. Time is money!


Nur wenige Touristen kommen an Bord. Pauschalurlauber reisen per Flugzeug nach Kreta, Inselhopper fahren eher in Richtung Kykladen und andere Inselwelten. Die Fähre Piräus – Iráklio wird daher wohl eher von Einheimischen genutzt, die sich das teurere Flugticket nicht leisten können oder wollen. Und von Leuten wie uns. Die Reederei verdient ihr Geld daher wohl auch eher mit der Fracht, als mit dem Personenverkehr.


Immer mehr Auflieger werden herangekarrt und im Laderaum geparkt. Ein Pickup möchte dazwischen, es wird ihm nicht erlaubt. Wutschnaubend stiebt der Fahrer von dannen. Auch andere PKWs müssen warten.

Nebenan läuft die "Preveli" gerade aus. Als ich den Namen lese, huscht die Erinnerung an einen Nachmittag am gleichnamigen Strand in Südkreta durch meinen Kopf, an eine Bootsfahrt auf dem Fluss und an Schwärmereien eines kretischen Bekannten aus Míres, der sich jeden Sommer für ein bis zwei Wochen eine Auszeit nahm und diese häufig im Zelt unter einer Palme am Fluss verbrachte. Ob das freie Campen dort heute noch erlaubt ist im Zeitalter von Sonnenschirmvermietung und Bootsverleih?


Schon geht die kurze Dämmerung in nächtliche Dunkelheit über, als die letzten Fahrzeuge ihren Platz im Schiffsbauch finden. Wir freuen uns auf die Überfahrt, bald geht es los! Wir freuen uns auf Kreta, auch wenn wir dort nur kurz bleiben möchten. Wir freuen uns auf das Meer, auf die noch immer üppig vor uns liegenden Urlaubstage, auf die Abwechselung. Als ich an meinem T-Shirt runterschaue, das von schwarzen Rußflecken beschmiert ist, setzt meine Freude kurzzeitig aus. Ach, was solls!
Mittlerweile hat man richtig eingeheizt, die Schornsteine des Schiffes qualmen und spucken schwarze Rauchwolken aus!


Die Verantwortlichen für das Ablegemanöver finden sich langsam ein. Der Anker im Bug ist also schon gelichtet. Láska ("Lass' nach" oder "Gib nach") meint in der Seemannssprache, dass man das Seil locker lassen soll, damit es von den Eisenpollern an der Anlegestelle gelöst werden kann. Wíra (Zieh) ist die nächste Anweisung, und die maschinengetriebenen Seilwinden, die Ergátes (Arbeiter), verrichten dröhnend ihren Dienst. Sehr schnell wickeln sich die Taue auf die Spulen. Schnapp, und die Seilenden schießen durch die seitlichen Schiffsöffnungen und krachen Wasser spritzend auf das Deck unter uns. Noch während die hinteren Ladeklappen hochgefahren werden, einrasten und ein Seemann zur Fixierung der Tore Bolzen durch die mächtigen metallenen Ösen schiebt, hat die Fähre bereits abgelegt.


Der Mond ist mittlerweile aufgegangen, er ist fast voll. Der silberne Schein erhellt das Meer, doch beeindruckender finden wir im Moment das Lichtermeer der Großstadt, das uns bei der Ausfahrt aus dem Hafen noch längere Zeit begleitet. Ein kleine Flasche Wein erstehen wir zur Feier des Augenblicks an der Schiffsbar. Wir sitzen da, irgendwo an der Längsseite des Schiffs, den Fahrtwind im Gesicht, halten uns an den Händen, schauen auf die Lichter und sind einfach nur glücklich!


Viel später versuchen wir, uns in eine angenehme Liegeposition auf den Bänken zu bringen und hoffen auf das eine oder andere Stündchen Schlaf. In der Nacht kühlt es jedoch empfindlich ab. Im Schiffsinnern ist es noch kälter, da die Klimaanlage läuft. Daher bleiben wir lieber draußen, ziehen alles an, was wir nicht im Koffer gelassen haben und decken uns mit den Handtüchern zu. Nachdem dann auch noch die brüllend lauten und langatmigen, zweisprachigen Durchsagen beendet sind, finden wir doch ein wenig Erholung und Schlaf, während das Schiff ruhig durch die mondbeschienene, glatte See gleitet.

Kurztrip nach Kreta