Über Umwege nach Marónia


Intermezzo in Komotiní und dann zum Wald von Nymphaía

Heute wollen wir Teil II unserer Autogeschichte – sprich das Bezahlen unseres Mietwagens - bei der Firma Evros-Cars in Komotiní erledigen. Wieder hat die Angestellte dieses vermaledeite „Ich höre, sprechen Sie!“ drauf, ohne überhaupt mal „Guten Tag“ zu sagen. Einfach nur schlechte Manieren? Alex fragt sie, ob man ihr das Grüßen nicht beigebracht hat. Oder ob sie nur uns im Speziellen nicht grüßt – ob wir das persönlich nehmen sollen? Ihre Antwort mit hochrotem Kopf: Sie sind mir zuvorgekommen! – Alex: Für das „Ich höre, sprechen Sie!“ hatten sie Zeit. Ich habe Ihr „Guten Tag“ immer noch nicht gehört!
Daraufhin legen wir ihr die 320 Euro auf den Tresen. In unseren blauen Miet-Durchschlag trägt sie handschriftlich den Betrag und das Datum ein, nicht jedoch ihre Unterschrift oder einen Stempel.

Ansonsten gehören wir ja eher zu den gutgläubigen Menschen und sehen solche Dinge im Urlaub nicht so eng. Allerdings machen wir hier eine Ausnahme, denn der erhöhte Preis für das nicht bestellte, kleinere Auto und ihre Rechthaberei haben uns ziemlich aufgebracht. Hinterher wird sie noch behaupten, wir hätten den Betrag selber in das Formular eingetragen! Wir verlangen eine ordentliche Quittung. Sie ist nicht bereit, uns diese auszustellen, nie und nimmer! Da bleibt sie stur! Dienstleistung – eine Fremdwort!
So, und an dieser Stelle packt uns dann doch die Wut. Wir rufen ihr im Hinausgehen noch zu, dass wir jetzt zur Polizei gehen! Wollen wir doch mal sehen.
Beim Polizeipräsidium zeigt man sich eher zurückhaltend. Man sei nicht zuständig. Wir werden zum Finanzamt geschickt. Das ist nicht weit weg. Schnell finden wir die für unser Anliegen zuständige Dame. Sie ist sehr zuvorkommend, zeigt Verständnis. Tja, das sei so eine Sache. Es sei einfach nicht üblich, eine Quittung auszustellen, wenn der Betrag im Formular stünde. Wir erklären unsere Besorgnis. Sie ruft die Angestellte in der Autovermietung an, die beiden reden sich mit Vornamen an, man kennt sich.
Nach dem Telefonat versichert uns die Dame beim Finanzamt, dass alles seine Ordnung habe. Sie erklärt sich auch bereit, uns ihren Namen zu geben, sodass wir uns im Fall der Fälle auf sie berufen könnten.
Ich kann es immer noch nicht fassen, bleibe weiter skeptisch, während Alex jetzt wieder ein gutes Gefühl in der Sache hat. Na gut. Bei dem, was wir bisher aufgewirbelt haben, müsste auch eine Autovermieterin in Komotiní mit weiteren Konsequenzen rechnen, z. B. durch Beschwerden beim Geschäftsinhaber oder der EOT usw. Ob das aber was bringen würde? Wir wollen uns nicht weiter aufregen, lassen wir es mal dabei.

Nach diesem unerfreulichen Vormittag haben wir eine Erfrischung verdient. Unser Ziel ist der Wald von Nymphaía, nördlich von Komotiní, ein beliebtes Ausflugsziel und Naherholungsgebiet für die Leute aus der Stadt. Die kaum befahrene, schmale Straße führt durch einen Kiefernwald mit weichen Nadelteppichen und hölzernen Sitzgelegenheiten. Sowas Gemütliches! Diese schattige Oase duftet auch so gut, ein trockenes und würziges Kiefernaroma. Hmmm, mal kräftig durchatmen.


Ein bisschen schade nur, dass die asphaltierte Straße das Waldgebiet zerteilt, denn ich kann mir vorstellen, welcher Autoverkehr an den Sommerwochenenden hier herrscht.

Die Straße führt im weiteren Verlauf stetig bergan, vorbei an einem Ausflugslokal, und wird danach immer schlechter. Irgendwann dann eine Hinweistafel, dass das Fotografieren nicht mehr erlaubt ist. Aha, militärischer Sperrbezirk, denke ich mir, als wir uns auch schon der nächsten Tafel nähern, auf der das Weiterfahren untersagt ist. Nur wenige Kilometer weiter nördlich ist die griechisch-bulgarische Grenze.
OK, fahren wir halt wieder zurück zum Lokal. Durch einen riesigen Raum gehen wir direkt zur großen Terrasse. Was für eine famose Sicht über einen großen Teil der thrakischen Ebene und über das nahe Komotiní, dessen Fenster und metallene Solarbehälter auf den Dächern das gleißende Licht reflektieren! Hier oben lässt es sich aushalten!


Nach Marónia

Marónia – einerseits Name des heutigen Dorfes (ca. 35 km südöstlich von Komotiní gelegen), andererseits Bezeichnung für eine im 7. vorchristlichen Jahrhundert von Siedlern der Insel Chíos gegründeten Stadt, die ihren Namen nach einem Priester Apolls, Máron, erhalten haben soll, und sich auf einem Areal bis hinunter zum Meer erstreckte.

Etwa 5 Kilometer vor dem heutigen Dorf passieren wir die Höhle des Polyphem. Nun bewegen wir uns in vorgeschichtlicher Zeit. Es handelt sich tatsächlich um jenen Zyklopen, den Odysseus seinerzeit zuerst betrunken gemacht und dann erlegt haben soll. Zwar folgen wir dem Schild, doch nähere und weitere Erkundungen des Geländes (der Weg endet irgendwo auf dem Acker) bringen uns nicht zu einem Höhleneingang. Sicherlich ist er hinter einem Busch versteckt. Es ist sehr heiß in der nachmittäglichen Julihitze, sodass wir die Höhle irgendwann sein lassen.

Unser Weg führt uns nun zielstrebig zum heutigen Dorf Marónia mit seinen typischen Häusern und Wohntürmen. Das alte Thrakerdorf ist reich, das sieht man auf den ersten Blick. Fast alle Häuser sind instand gesetzt, oft Fachwerk mit weiß getünchten Wänden.


Eingebettet in eine wunderschöne Landschaft in erhöhter Lage hat man eine fantastische Aussicht bis zum Meer. Wir halten auf dem Parkplatz an der weit ausladenden, baumbestandenen Platía, von wo wir einige der stimmungsvollen Sträßchen abklappern und die interessante Architektur bewundern.





Die alte Waschstelle wurde ebenfalls wieder hergerichtet.


Ein Schild am Ortsausgang weist auf eine agro-öko-touristische Ausrichtung hin und zählt auf, was man hier darunter versteht:


Was ist Agrotourismus? Auf der Seite der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit GmbH finde ich folgende Definition: „Mit Agrotourismus ist hier jene Tourismusform gemeint, bei der die ländliche Kultur touristisch in Wert gesetzt wird. Er steht dem Ökotourismus nahe, wirbt aber in erster Linie nicht mit Natur-, sondern mit Kulturlandschaft. Wenn die Angebote für Touristen zur Einkommensverbesserung der ländlichen Bevölkerung beitragen, kann Agrotourismus die Regionalentwicklung fördern. Damit er auch die Vielfalt bewahren hilft, muss die ländliche Bevölkerung selber Agrobiodiversität als wertvoll und schutzwürdig erkannt haben.“ Ziel ist also die Förderung der Region, wie auch in zahlreichen EU-Förderprogrammen beschrieben.

Ein wenig werde ich an die vor einigen Jahren entstandenen Geoparks erinnert, die zwar andere Gegebenheiten (nämlich die geologische Vielfalt) als Grundlage hatten, die jedoch auch auf die nachhaltige (touristische) Entwicklung von Regionalstrukturen gerichtet waren und durch die Leader-Projekte der EU gefördert wurden. Dazu gehören in Griechenland der Steinerne Wald auf Lésvos und die Region um Anóghia auf Kreta, der Psilorítis Natural Park.

Schon seit der Antike gewann die alte Stadt Marónia ihren Wohlstand aus den Erzeugnissen ihrer Weinberge, liegt sie doch an der alten Weinstraße Makedonía-Thráki. Byzantinische Kaiser sollen sich schon an den edlen Tropfen aus Marónia gelabt haben.
Dass die Stadt schon in vorchristlicher Zeit über Wohlstand und Macht verfügte, darauf deuten die eigenen Münzen hin, auf deren einer Seite ein Pferd, auf der Rückseite eine Weinranke mit Trauben abgebildet war.

Auf der Straße in Richtung Agios Charálambos, hinab zum Meer, passieren wir ein Schild in Richtung Altes Theater. Circa einen Kilometer von der Durchgangsroute entfernt und über eine Schotterstraße erreichbar entdecken wir das Gelände, das zur Zeit eher eine Baustelle ist.
Nun sollen Relikte der Ausgrabungen mit neu aufgesetzten Sitzen kombiniert werden. Vielleicht finden später in diesem abgeschiedenen Olivenhain auch einmal Aufführungen statt. Die Akustik zumindest ist fantastisch. Doch richtig hinein kommen wir nicht, das Gelände ist weiträumig eingezäunt.
Neben dem Halbrund des Theaters liegen die Überreste eines Heiligtums, Diónysos geweiht, jenem sympathischen Gott des Weines und sonstiger sinnlicher Genüsse.


Eine weitere archäologische Stätte befindet sich an der Hauptstraße weiter bergab: Teile der Stadtmauer des antiken Marónia. Die zehn Kilometer lange Mauer soll eine Fläche von vier Quadratkilometern umschlossen haben, sicherlich nur den Kern der Stadt, denn das Areal erscheint mir weitläufiger.


Viel besichtigen können wir da nicht. Alex hat auch schon eher ein sehr interessiertes Auge auf einen wilden Birnenbaum geworfen. Die Früchte sind aber noch nicht ganz reif.

Weiter unterhalb, ebenfalls an der Hauptstraße, gegenüber der Agios Geórgios-Kapelle, die wie eine überdimensionierte Ikonostase aussieht, finden wir ein spannenderes Relikt: das Fußboden-Mosaik eines Privathauses, das 2200 Jahre alt sein soll und vor wenigen Jahren zufällig bei Feldarbeiten gefunden wurde. Mitten im Olivenacker, völlig schutzlos Wind und Wetter ausgeliefert, erkennen wir seine Farbenpracht unter der Staubschicht.




Die beeindruckendsten Ausgrabungen befinden sich jedoch direkt am Meer, in Agios Charálambos. Dabei auch ein gut erhaltenes Propylon aus römischer Zeit.
Ein Schild weist darauf hin, dass für die Ausgrabungen Marónia - Ismaros EU-Fördergelder in Höhe von 1.373.000 Euro zur Verfügung gestellt wurden. Für ein weiteres Projekt Kulturelle Egnatia. Schutz - Vermarktung des Theaters und der römischen Agora wurden in diesem Zeitraum ebenfalls 400.000 Euro bereitgestellt, davon 75% aus dem EU-Topf Kultur.




Noch vor wenigen Jahrzehnten bestand Agios Charálambos aus nur wenigen Häusern mit einem Strand und zwei Tavernen; heute befindet sich in hier ein Hafen für Fischerboote und Jachten. Dafür wurden ein paar Felsen weggesprengt und in der Folge der ursprüngliche Strand in unwirtliches Sumpf- und Brachland verwandelt.


Eine der alten Tavernen gibt es immer noch, neue sind hinzugekommen. Die ältere, die den ehemaligen Strand überblickte und früher Anlaufstelle für die Badenden der Umgebung war, bietet den etwas morbiden Charme von Vergänglichkeit. Es sieht nicht wirklich nach einem auf Tourismus zielenden, gut durchorganisierten Lokal aus. Oder liegt es daran, dass heute eigentlich Ruhetag ist? Und doch sitzen ein paar Gäste an den Tischen, werden bewirtet. Die Atmosphäre hat was, erinnert an das „alte“, improvisierte Griechenland, das wir früher kannten und liebten und heute so schmerzlich vermissen.

Wir bestellen, was die Karte zu bieten hat. Und das ist wenig, weil heute ja eigentlich Ruhetag ist. Nur noch Garnelen gibt es. Und Angúro-Domáda mit Vlíta. Brot ist aus. Nehmen wir halt die Garnelen mit dem Salat.
Nach einiger Zeit, die wir uns – mittlerweile als einzige Gäste – mit drei neugierigen Hunden teilen, bekommen wir jeder einen Teller voller Garnelen. Nicht irgendwie gewürzt oder sonstig zubereitet. Lediglich in der Schale in Mehl gewälzt und frittiert. Immerhin sind sie durch. Mir schmecken sie überhaupt nicht, sodass Alex ca. ein Pfund Garnelen verspeist. Ab und an picke ich in den Salat.
Die Wirtin ist untröstlich, dass es mir nicht schmeckt. Eigentlich ist ja auch Ruhetag, meint sie. Den selbst gebackenen Zitronenkuchen als Nachspeise lobe ich jedoch sehr.
Die Rechnung schreckt uns auf. 35 € zahlen wir und können es nicht fassen. Ausgerechnet hier direkt am Meer! Später wird man uns sagen, dass das der normale Preis ist, denn Garnelen gäbe es kaum noch. Der letzte größere Fang sei im Mai dieses Jahres gewesen. In guten Lokalen würde man bis zu 50 Euro das Pfund bezahlen. Mamma Mia!
Allerdings kann man – wie wir einige Tage später feststellen – auf einem Markt in Thessaloníki frische Garnelen um 15 bis 20 Euro das Kilo kaufen. Wahrscheinlich lieben Granelen eher den Küstenstrich vor der Stadt oder sind diese importiert?

Unser Rückweg am Abend führt über eine relativ neue Küstenstraße, früher nur ein Feldweg, über Platanítis und Krionéri, vorbei am feinsten Sandstrand mit Liegen und Schirmen. Wo früher Brachland war, sind Ferienhäuser und einige kleinere Hotels entstanden, die auch gut besucht zu sein scheinen. Und Privatvillen vom Feinsten. Hier ist das Geld zu Hause. Junge, Junge, mit einem popeligen 40-Quadratmeter-Haus braucht man nicht anzukommen. Ich will gar nicht wissen, wie hoch die Grundstückspreise hier sind.

In der Bucht von Imeros biegen wir wieder landeinwärts ab zum gleichnamigen Dorf. Kurz vor dem Abfluss des benachbarten Ismarídha-Sees durchqueren wir einen dünnen Flusslauf, an dem verschiedene Vogelarten nach Nahrung Ausschau halten. Auch ein schüchterner Reiher ist dabei. Großflächige Feuchtgebiete bieten hier den Zugvögeln (vor allem Gänsen) auf ihren Interkontinentalflügen geschützte Rastmöglichkeiten.


An einer Brücke über einen kräftigeren Wasserarm versuchen drei Angler ihr Glück.


Auf dem weiteren Rückweg genießen wir die grüne, ländliche Idylle in goldenem Abendlicht. Wieder einer dieser stimmungsvollen Tagesausklänge in dieser friedlichen Landschaft.




Nach Xánthi und durch einige Dörfer am Fuße des Rodhópengebirges



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