Topkapı-Palast


Auf dem Programm steht für heute, Montag, der Besuch des Topkapı-Palastes, der sich irgendwo hinter der Agia Sofía befinden soll.
Leider hat bei mir über Nacht Montezuma’ s Rache zugeschlagen. Daher bin ich froh, dass wir es nicht so weit haben. Aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen bin ich – ohne auf die Karte zu schauen – der Meinung, dass die entgegengesetzte Richtung der Hauptstraße, die wir sonst nach Sultanahmed nehmen, auch in einem Bogen in die Altstadt führt. Zur Abwechslung wählen wir diese Richtung dann auch aus.

Der Wochentagverkehr rauscht über die breite, vierspurige Hauptstraße an uns vorbei, und ich freue mich schon darauf, endlich wieder in ruhigere Gefilde zu gelangen. Bevor wie jedoch Umwege laufen, fragen wir doch mal lieber, wo genau es zum Topkapı geht. Zunächst nachdenkliche Gesichter, die sich in alle Himmelsrichtungen orientieren, dann die (kreiselkreiselfestleg) eindeutige Handbewegung in eine bestimmte Richtung. Die Richtigkeit wird auf hin und wieder auftauchenden Straßenschildern bestätigt, schwarz auf weiß: Topkapı!
Aber irgendwie scheint es doch eine längere Wanderung zu werden. Hätten wir doch nur die uns bekannte Strecke genommen! Zusätzlich zu meinem Unwohlsein drücken auch die Schuhe nach zwei Tagen Pflastertreten. Ein wehmütiger Gedanke an meine weichen, ausgelatschten, alten Sandalen, die ich leider letztens endgültig entsorgen musste. Und die Sohlen der Neuen sind zu hart. Zum Glück gibt es in Istanbul sehr viele Menschen, die irgendwie mit Schuhen zu tun haben: Schuhhersteller, -verkäufer –reparierer und -putzer. Und solche, die Einlagen an Straßenständen verkaufen. Wunderbar, meine Rettung.
Die Sorte, für die ich mich entscheide, gibt es leider nicht in meiner Größe. Als ob das ein Problem wäre! Ich soll auf einem Hocker Platz nehmen, während der ältere Standinhaber mit erfahrenem Blick ein größeres Paar Einlagen per Schere von Hand auf meine Schuhgröße zurechtstutzt. Mittlerweile ist vom benachbarten Teestand ein Teeverkäufer herübergekommen und drückt uns allen ein Glas des köstlichen Gebräus in die Hand. Richtig urig, wie wir da zusammensitzen, mitten auf dem Bürgersteig, Tee trinken, Einlagen schneiden und ein wenig herumschwätzen. Nach Fertigstellung wechseln ein paar Lira den Besitzer, das war’s. Ahhhh, viel besser, zumindest brennen meine Fußsohlen nicht mehr so.

Leider ist auch weiterhin vom Topkapı-Palast kein Zipfel in Sicht. Jetzt sind wir doch schon so lange unterwegs. Auch ziemlich heiß ist es geworden.
Mittlerweile sind wir an einer breiten, mehrspurigen Autostraße angekommen, mit Höllenverkehr. Wo zum Geier ist dieser Palast? Ein weiteres Schild Topkapı klärt uns auf, immer geradeaus zu gehen, was ein Passant bestätigt. Circa fünf Kilometer seien es noch. Als er mein gequältes Gesicht sieht, verbessert er sich rasch auf, na ja, etwa vier Kilometer. Oh Gott. Für mich ist heute jeder Schritt mühsam.

Nach einigen Minuten fährt einer dieser kleinen Minibusse langsam mit offener Tür an uns vorbei. Wo wir hinwollen? Topkapı! OK, einsteigen, er würde für uns einen Schlenker in seine Tour einbauen. Der Fahrpreis ist spottbillig. Bis auf einen sind die 13 Sitzplätze in diesem gemütlichen Vehikel alle von Einheimischen besetzt. Und der eine freie Platz ist für mich! Ich liebe den umsichtigen Busfahrer. Nach einer Weile hält er an und zeigt nach rechts oben: Da hoch sollen wir gehen, da sei Topkapı.

Eine rechts von einer byzantinischen Mauer begrenzte Straße führt bergan. Hinter dieser Mauer liegt sicherlich der Palast, denke ich mir. Das Viertel ist allerdings etwas verlottert. Wenige Werkstätten und einige Wohnhäuser säumen die Straße zur Linken.
Ein Kleinkind läuft mitten auf der Straße bergab, uns entgegen und seinem Ball hinterher – die klassische Situation. Autos von oben und unten, mittlerweile abgebremst, das Kind unbeeindruckt, keine erwachsene Bezugsperson weit und breit. Ein Mann in einem Hof, den das nicht tangiert, er schaut zu, bewegt sich keinen Millimeter. Wie bitte?? Wir „retten“ sowohl Kind als auch Ball. Dann kommt (wahrscheinlich) die Mutter langsam aus einem der Häuser heraus, aber auch nicht wirklich aufgeregt.

Mit letzter Kraft, so scheint es mir, quäle ich mich weiter den Hügel bergan. Diese Mauer, so hat uns ein Mann unten an der Hauptstraße erzählt, sei DIE Mauer, durch welche die Osmanen 1453 Konstantinopel erobert hätten, genau hier an dieser Stelle seien sie durchgebrochen. Topkapı bedeutet übrigens Kanonentor.
Wie wir später aus dem Internet erfahren, handelt es sich um einen Abschnitt der sogenannten Theodosianischen Landmauer, einem gigantischen Befestigungswerk, im fünften Jahrhundert von Theodosius II. errichtet, das der Expansion der Stadt Rechnung tragen sollte.


Den Kräfteverschleiß durch das Bezwingen des Hügels muss ich unbedingt durch ein Sitzpäuschen ausgleichen. Endlich auf der Hügelkuppe angekommen biegen wir deshalb gleich in ein Café ein. Ein Café? Eher ein Schnellimbiss. Es riecht nach Kebab, drinnen mehr als draußen. Mag aber jetzt kein Essen riechen. Deshalb bleiben wir auch nicht lange. Von hier hat man eine gute Sicht hinter das Mauerwerk, doch von einem Palast ist weit und breit nichts zu sehen. Oder besteht er doch nur aus Ruinen? Nein, ich habe doch gelesen, wie reich das Gemäuer ausgestattet sein soll. Also noch einmal fragen.
Jetzt gibt es eine Erklärung, die unseren Fehler aufdeckt. Wir haben immer nach Topkapı gefragt statt nach Topkapı Sarayı. Man hat uns nach Topkapı geschickt, und zwar in den gleichnamigen Stadtteil, in dem es außer Wohnungen, Tramstationen und der Mauer nichts zu sehen gibt, zumindest nicht aus unserer Perspektive.

Also wieder zurück. Ich fühle mich wie eine lahme Ente, trotte betrübt hinter Alex her in Richtung Metrostation, denn ein Zug soll uns wieder ins Zentrum bringen.
Sehr originell hat man den Standort für die Haltestelle gewählt: auf einer schmalen Insel zwischen zwei mehrspurigen, stark befahrenen Straßen, unter einer Brücke. Nass wird man bei Regen hier nicht. Dafür aber mit Sicherheit taub. Ein Höllenlärm, der uns aber pronto in den Zug treibt. Ein älterer Herr steht auf und bietet mir seinen Platz an. Das finde ich aber höflich! Das gefällt mir!!
Nehme auf der Fahrt wahr, dass auch andere Herren aufstehen, um einsteigenden Frauen ihren Platz anzubieten. Also meine Herren in deutschen Bussen und Bahnen: Man darf sich gerne ein Beispiel nehmen!

Zweieinhalb Stunden nach Beginn unserer Wanderung steigen wir in Sultanahmed aus. Den nächst besten Passanten fragen wir erneut nach dem Topkapı-Palast. Er ist Grieche, wie sich herausstellt. Man tauscht Höflichkeiten aus. Bereitwillig erklärt er uns, woher er komme (aus Athen) und dass er Autos vermietet. Das alles nimmt Zeit in Anspruch. In der Hitze wird mir langsam richtig flau. Ungeduldig sehe ich, wie der Gesprächspartner Alex wortreich seine Visitenkarte überreicht. Wenn wir einmal nach Athen kämen, könnten wir gerne bei ihm ein Auto leihen. Aha. Ich zupfe Alex am Ärmel, die Verabschiedung fällt dann doch recht kurz aus.

Jetzt biegen wir einfach um die Agia Sofía herum und sehen den Eingang des Topkapı-Palastes in kurzer Entfernung vor uns. Ein gepflegter Rasen und ordentlich angelegte Blumenbeete, so präsentiert sich der große Vorpark. Viele Menschen haben dasselbe vor wie wir. Das heißt, eigentlich möchte ich gar nicht mehr. Ich träume von meinem Hotelbett und einem Tag zum Auskurieren dessen, was auch immer mich erwischt hat. Alex langes Gesicht jedoch lässt diesen Gedanken wieder entschwinden. Also gut, bringen wir es hinter uns!


Durch die Hitze wanke ich unmotiviert in Richtung Eingang, vorbei an einer Kirche. Das muss die älteste byzantinische Kirche Istanbuls sein, die Agia-Iríni-Kirche, die von den Osmanen in den inneren Bereich des Topkapı-Palastes integriert wurde. Ihr Bau wurde im vierten Jahrhundert unter Kaiser Konstantin des Großen auf den Fundamenten eines Aphrodite-Tempels veranlasst. Bis zur Fertigstellung der Agia Sofía war sie Hauptkirche der Stadt. Heute wird sie dank ihrer guten Akustik vorwiegend für Musikaufführungen geöffnet. Bei unserem Besuch ist sie leider abgeschlossen, der Eingang wird von einem Mann bewacht, der uns auch auf Bitten hin nicht hereinlässt. Sehr schade.


Mehrere Reisegruppen haben mit uns die Palast-Besichtigung aufgenommen. Dabei sind auch Ibero 20 bis 22, wie wir den Schildern entnehmen. Die Ibero-Gruppen bestehen aus stets kommunikationsbedürftigen und sehr präsenten Menschen. Egal, wo wir uns befinden, sie sind schon vor uns da, stehen im Weg, rempeln uns an, telefonieren über Handy oder quatschen drauf los, wo man mal innehalten möchte. Das hatten wir am Vortag schon in der Agia Sofía bemerkt. Nun gut, wir nehmen es mit Humor und lästern zwischendurch ordentlich ab.

Eintrittskarten für den Topkapı-Palast (20 TL) gibt es vor dem pompösen Haupteingang. Während Alex sich in die Schlange stellt, ruhe ich mich ein wenig aus. Noch besser sitzt man freilich im ersten Palasthof auf einer breiten, langen Bank entlang einer Gebäudemauer. Alter Baumbestand ziert den Park, der sich hier fortsetzt.


Der Topkapı-Palast ist heute ein Museum. Ursprünglich war er eine Sultansresidenz, in dem die politischen Geschäfte abgewickelt wurden. Jeder Sultan erweiterte den Palast um einige Gebäude, bis man den Sitz im neunzehnten Jahrhundert in den Dolmabahce-Palast am Bosporusufer verlegte.
Auf 700.000 qm erhält der Besucher im Topkapı-Palast einen Überblick über prunkvolle, mit Iznik-Fayencen verkleidete Gebäude, gold- und edelsteinbesetzte Preziosen und prächtige Sultansgewänder in einzelnen Museumsräumen.



Der Wechsel von herrschaftlichen Gebäuden, Pavillons, Außenanlagen bzw. Innenhöfen und schönen Aussichtspunkten über den Bosporus bietet dem fußlahmen, von Reisekrankheit geschüttelten und auch geistig etwas überfrachteten Besucher genügend Zerstreuung, um die Wehwehchen einstweilen zu verdrängen.




Die Besichtigung der Kostbarkeiten in den einzelnen Räumen kann von uns nur bruchstückhaft erlebt werden, zu groß ist der Besucherandrang. Meine Geduld wird einstweilen arg strapaziert, sodass ich mir nur die Vitrinen vornehme, die halbwegs frei zugänglich sind.



Was für ein Prunk! Der ausgestellte Protz erinnert ein wenig an das Historische Grüne Gewölbe in Dresden, nur dass sich hier fast alles hinter Glas befindet.

Der anstrengende Part liegt bereits hinter uns, als wir eine kleine Moschee (Art Kapelle) erreichen, mit einem grandiosen Blick auf den Bosporus und einer so angenehmen Temperatur, dass man sich am liebsten auf den Teppich legen und sich für längere Zeit hier ausruhen möchte. Nur eine der Iberogruppen vermag dieses Idyll zu stören.
Unterhalb der Moschee befindet sich ein großes Freiluftcafé, das tatsächlich voll besetzt ist. Nippon 2 und Italo 3 haben sich ausgebreitet, Iberos flirren herum. Leider, leider müssen wir unverrichteter Dinge wieder die steile Stiege emporklettern. Nichts wie raus aus dem Krach! Ist aber bei Ruhe sicherlich ein schönes Fleckchen.

Das Herzstück der Palastanlage ist der Harem, von dem nur ein Bruchteil der Räume für den Besucher zugänglich ist, dessen Ausstattung jedoch wirklich sehenswert ist und den Extraeintritt (15 TL) lohnt. Im Innern erleben wir wohltemperierte Räume, in denen man sich gut aufhalten kann im Gegensatz zur Hitze vor dem Tore.


Die Frauen des Sultans lebten in der Regel nicht im Palast. Erst im sechzehnten Jahrhundert wurde der Harem an den Topkapı-Palast angebaut, was auf den Einfluss Roxelanes, der russischen Frau Süleymans des Prächtigen, zurückzuführen ist. Die Sultansmutter, die Herrscherin über den Harem, sowie der Sultan selbst, lebten ab Ende des sechzehnten Jahrhunderts ebenfalls in eigenen Trakten des Harems. In weit ausladenden Polstergruppen bewirteten die Sultane, Sultansmütter und Prinzen ihre Gäste.


Florale Fliesenkunst aus Iznik, marmorne Intarsienarbeiten, vergoldete Täfelungen, meterhohe Spiegel mit vergoldeten Rahmen, vergoldete Sanitäranlagen, bunte, bleiverglaste Fenster und wertvolle Malereien zieren Decken und Wände. Insbesondere die Fliesen, in allen erdenklichen Formen und Farben aufeinander abgestimmt, beeindrucken in ihrer großflächigen Anordnung in Innenräumen wie auch außen an einzelnen Gebäuden.





Am Ende führt der Weg in einen Extrahof mit angrenzenden Räumlichkeiten, die den Favoritinnen des Sultans vorbehalten waren, und anschließend durch einen schmalen Gang wieder hinaus.

***

Nachdem wir die Besichtigung dann nach mehreren Stunden „hinter uns gebracht“ haben und doch wieder den ganzen Tag auf den Beinen waren, zieht es mich magisch zurück ins Hotel. Nichts und niemand kann mich noch aufhalten. Appetit- und kraftlos und leicht fiebrig sinke ich am frühen Abend in die Laleli-Gönen-Kissen. Alex besorgt derweil Cola und Salzstangen. Nach dieser „Kur“ werfe ich in Ermangelung sonstiger Medikamente noch eine Parcetamol hinterher und falle augenblicklich in einen unruhigen, verschwitzten Schlaf.


Bildergalerie Topkapı-Palast



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