Agia Sofía - Das Herz von Byzanz


Es ist nicht verwunderlich, dass sich in Sultanahmed viele osmanische Herrscher verewigt haben, wie im Topkapı - Palast oder durch den Bau verschiedener großartiger Moscheen.
Inmitten all dieser Gebäude jedoch steht die Agia Sofía, ein sehr besonderes, schon seit seiner Vollendung im sechsten Jahrhundert berühmtes, symbolhaftes und einzigartiges Bauwerk, Krönungskirche der byzantinischen Kaiser im Zentrum der Weltpolitik, religiöser Mittelpunkt der Orthodoxie, bedeutsames Beispiel hoher architektonischer Baukunst mit einer gigantischen Kuppel, die wagemutig auf nur vier Pfeilern ruht, um den Innenraum noch großartiger erscheinen zu lassen. In dieser Kirche schlug das Herz des Byzanz.
Auch die Osmanen erkannten die Großartigkeit des Gebäudes und haben es zigfach kopiert: Fast alle Moscheen in Istanbul erinnern mit ihren Kuppeldecken an die Agia Sofia. Nach der Jahrhunderte währenden Nutzung als Moschee ist die Agia Sofia letztendlich seit 1935 ein Museum.

Mit dem Gedanken an die Agia Sofía ist Alex aufgewachsen, mit den Geschichten, die er im Schulunterricht erfahren hat, die damals auch zu Hause erzählt wurden, und die für ihn wie Märchen waren. Doch heute steht er leibhaftig hier und wird dieses Welt-Kulturerbe endlich besichtigen können, wie wohl für viele Griechen die Erfüllung eines großen Wunsches.


Wir stellen uns in einer langen Schlange an und zahlen am Kassenhäuschen 10 Euro Eintritt pro Person. Unsere Mini-Stative müssen wir abgeben.
Im Außenbezirk der Kirche kann man umherwandern, antike Fragmente bestaunen oder einfach auf einer Bank verweilen, bevor man mit den vielen anderen Besuchern den Innenraum der Kirche betritt.
Unausgesprochen trennen sich unsere Wege einstweilen, denn jeder nimmt anders wahr und konzentriert sich auf andere Einzelheiten.

Unerwartet fallen zunächst die überdimensionalen Schilder unterhalb der Kuppel mit den arabischen Kalligraphien auf. Mit ihren fast acht Metern im Durchmesser ziehen sie den Blick gezielt auf sich. Das habe ich so nicht erwartet, nicht die osmanische Geschichte am Anfang, sondern die byzantinische. Wo sind denn diese Symbole?


Das riesige Gerüst, das mitten in der Kirche steht, reicht vom Boden bis zur Decke und verdeckt fast die Hälfte der Kuppel. Es steht dort seit Jahrzehnten. Der sichtbare Teil der Kuppel ist ebenfalls mit arabischen Schriftzeichen bemalt und scheint mit ebendiesen Symbolen neu gestaltet zu werden.
Ich wende mich nach rechts und mein Blick schweift von der Seite erneut durch die lichte Höhe. Die Schilder, die unterhalb der Kuppel angebracht wurden, ziehen immer wieder die Blicke an. Das Gerüst stört enorm. So sind meine ersten Eindrücke.

Langsam gehe ich am Rand entlang. Mir fallen die Strukturen der Steinblöcke auf, aus denen das Mauerwerk besteht. Nichts war dem Erbauer teuer genug, um die Kirche zu einem einzigartigen Bauwerk zu machen. Porphyr- (vulkanisches, rötliches Gestein) aus Ägypten und Marmorplatten von den Marmara-Inseln wurden verarbeitet. Auch der Boden besteht aus geschliffenen Marmorplatten. Auf Marmorsäulen ruhen korinthische Marmor-Kapitelle mit durchbrochenen Blattmustern. Zwei gigantische Marmorgefäße zieren den Eingangsbereich.



Bemalte Deckenabschnitte fordern meine Bewunderung. Ein Teil der hohen Decken- und Kuppelbemalung ist neu, ein anderer Teil ist dunkel, die Farben sind verblasst oder rußgeschwärzt.
Keine Mosaiken oder bildlichen Darstellungen sind bisher für mein Auge sichtbar geworden, und so vermittelt die Agia Sofia von ihrer Innenausstattung her den Eindruck einer Moschee. Das habe ich nicht erwartet und bin ziemlich enttäuscht. Fast alle religiösen Symbole des Byzanz liegen hinter dickem Putz, wurden abgenommen oder vernichtet. Die Kirche mit ihrer bis zur Eroberung im Jahre 1453 fast tausendjährigen Geschichte wurde danach zur Hauptmoschee umfunktioniert.
„Die Ikonen wurden entfernt und die Mosaike verschwanden hinter einer Putzschicht, was vor allem dem islamischen Bilderverbot geschuldet war. Auch das große steinerne Kreuz auf der Kuppel wurde abgenommen. Die Steine verbaute man in der Eingangstreppe.“
Quelle: Kirchengucker, Stand 13.09.2009

Das stimmt mich traurig. Es ist zwar so, dass Symbole aus der osmanischen Zeit für moslemische Pilger heute sicherlich auch einen hohen Stellenwert besitzen, doch die Mosaiken und Malereien aus den Vorjahrhunderten sind einfach bis zu eintausend Jahre älter. Wer mag entscheiden, was erhaltenswerter ist?

Für die Bewahrung der wertvollen christlichen Symbole machte sich Sultan Abdülmecid I. Mitte des neunzehnten Jahrhunderts verdient, als er die renommierten Schweizer Architekten Gaspare und Giuseppe Fossati mit der Restaurierung der mittlerweile baufällig gewordenen Moschee beauftragte. Dabei wurden die noch vorhandenen christlichen Wandmalereien und Mosaike sorgfältig in Stand gesetzt, danach jedoch gleich wieder mit Putz oder Farbe bedeckt.
Insbesondere den Bemühungen des in Thessaloniki geborenen Kemal Atatürk ist es zu verdanken, dass die byzantinische Agia Sofia zumindest in dem damaligen Zustand erhalten blieb, indem die Moschee 1935 in ein Museum umgewandelt wurde. Mehr noch: Archäologen konnten und können jetzt die verborgenen und noch erhaltenen Bilder wieder freilegen. Wie man liest, waren die überdimensionalen Schilder ein Zugeständnis an die Muslime.

Zuletzt wurde Ende Juli 2009 ein Mosaik, das einen Seraphim darstellt, unter mehreren Putzschichten und einer Metallmaske an einem Pfeiler der Hauptkuppel freigelegt. Das Entstehungsdatum des „Engels“ ist nicht eindeutig, doch man schätzt, dass er älter als 700 Jahre ist. Wer weiß, welche Kunstschätze noch im Verborgenen schlummern, würde man den Putz der Kirche nach und nach gänzlich abtragen.


Die oberen Abschnitte der tragenden Pfeiler sind mit solchen Figuren bemalt. Unter dem hellen Schild in der Mitte
- wie auf diesem Bild - verbarg sich der Seraphim

An der Decke der Apsis sind die vergoldete Darstellung der Panaghía mit Kind und zweier Erzengel freigelegt worden, von denen nur noch einer teilweise erhalten ist. So muss die gesamte Decke in byzantinischen Zeiten ausgesehen haben: künstlerische Darstellungen in vergoldeten, eindrucksvollen Mosaiken.
Den Kontrast erkennt man wiederum im Erdgeschoss. Direkt unter der Panagía-Darstellung befinden sich die Gebetsnische (Mihrab), daneben die Kanzel (Minbar) der Moschee und die Sultansloge. Viele moslemische Besucher stehen voller Bewunderung davor. Was mag durch deren Köpfe gehen? Hochachtung vor den alten Insignien? Freude über den Sieg des Islam über die „Ungläubigen“?



Ein stufenloser Gang, windet sich hinauf auf die Empore.


Aus dieser Perspektive kann man die Größe der Kirche noch besser einschätzen, erkennt man den Widerspruch der Religionen deutlich, mit dem die Kirche weiterlebt.


Diese Etage scheint den christlichen Symbolen gewidmet. Große Fotos der freigelegten Mosaiken mit entsprechenden, informativen Begleittexten sind hier ausgestellt.

Durch ein marmornes Tor betreten wir auf der Galerie einen ehemals nur hohen Würdenträgern (Teilnehmern an Synoden) vorbehaltenen Bereich.


Einige Stunden sind wir jetzt schon in der Agia Sofía, nehmen die erhabene Stimmung auf, geben uns auch einer aufkommenden Traurigkeit hin, während wir das Mosaik Jesus als Weltenrichter bestaunen, als von der benachbarten Blauen Moschee der Gebetsruf herüberschallt.


Jesus mit Maria und Johannes, dem Täufer (Mosaik aus dem 13./14. Jahrhundert)

Zwei weitere Mosaiken ziehen die Aufmerksamkeit und ergriffene Bewunderung der Besucher auf sich:


Christus Pantokrator mit Kaiserin Zoe und Kaiser Konstantin IX (Mosaik aus dem 11. Jahrhundert).


Panaghía mit Kind, Kaiser Johannes Komnenós II. und Kaiserin Iríni (Mosaik aus dem 12. Jahrhundert)

Wieder im Erdgeschoss passieren wir auf dem Weg nach draußen das Prächtige Tor, wo unter der hohen Decke ein weiteres Mosaik zu erkennen ist:


Panaghía mit Kind, Kaiser Konstantin, der ihr Konstantinopel und Kaiser Justinian, der ihr die Hagia Sophia schenkt.
Was für ein wundervolles Bild!

Das bronzene Ausgangstor wurde im 9. Jahrhundert errichtet. Das Material stammt aus einem Tempel aus dem 2. vorchristlichen Jahrhundert aus Tarsus. Faszinierend auch die alten Wand- und Deckenornamente in diesem Vorraum.

Wir befinden uns in einem großen Zwiespalt: Mit der Begeisterung über die Möglichkeit, diesen Ort, die Mutterkirche der Orthodoxie, besuchen zu können und der Bewunderung für die Großartigkeit des Bauwerks, gepaart mit dem Bewusstsein und Erleben, dass viele der alten Mosaiken und Wandmalereien nicht mehr rekonstruierbar sind, erleben wir ein Gefühl der Ohnmacht angesichts der mutwilligen Zerstörung als sichtbares Zeichen der Eroberung von 1453. Ein Sieg, der selbst heute noch gefeiert wird und in manchen Foren – nur als Jahreszahl genannt - jede sachlich begonnene Diskussion in emotionsgeladene Beleidigungen ausarten lässt.

Uns geht es aber nicht um die plötzliche Entdeckung eines nationalistischen Hasses. Auch nicht um religiöse Gefühle. Es betrifft vielmehr das kulturelle Erbe, das nur noch bruchstückhaft erhalten ist. Das Ausmaß der Vernichtung schmerzt tief, ein Gefühl, das wir – wie ich später erfahre – mit vielen Griechen teilen. Und doch wissen wir, dass man das Rad der Zeit nicht zurückdrehen kann.

Kurz vor Ende der Öffnungszeit gleiten wir wieder hinaus ins heutige Istanbul mit seinen freundlichen Menschen. Der Lärm der Großstadt hüllt uns ein, doch die Gedanken an das Erlebte und die damit verbundenen Gefühle innerhalb der Agia Sofía bleiben und beschäftigen uns weiter.


Bildergalerie Agia Sofía



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