Beyazıd und die Märkte


Das Frühstück haben wir verpasst – es ist nämlich schon weit nach zehn Uhr, als wir aufwachen. Entgegen der Annahme, nach dem anstrengenden Reisetag vollkommen platt zu sein, fühlen wir uns erfrischt und unternehmungslustig. Vorgenommen haben wir uns für diesen Tag nur, die Umgebung zu erkunden und uns vom Reisestress ein wenig zu erholen.

Die Hitze außerhalb des Hotels ist zunächst sehr gewöhnungsbedürftig (wir ahnen noch nicht, welche Temperaturen uns später in Griechenland erwarten werden).
Unser Hotel liegt in einer ruhigen Seitenstraße, im Stadtteil Laleli. In welche Richtung sollen wir gehen? Einfach drauf los, nach rechts. Nach wenigen Metern stehen wir vor einem Eingang mit der Aufschrift Historical Old Bazaar. Wir treten ein und befinden uns in einem geräumigen Innenhof, der von einer Galerie mit kleinen Läden umgeben ist. Einladende Sitzgelegenheiten in einem Café gibt es auf dick gepolsterten Bänken, mit Kilims und seidenen Tischdecken, ein wunderbarer Ort zum Relaxen. Zum anderen Ausgang wieder hinaus, und schon stehen wir auf einer breiten Hauptstraße.

Istanbul, lebendig, modern, traditionsbewusst, freundlich, höflich, vielfältig, multikulturell … das sind die ersten Eindrücke. Moderne Geschäfte neben mittelalterlichen Gebäuden, SAT-Schüsseln auf den Dächern, Verkehr ohne Ende, Busse, Taxen, „Tramvay“, neue Privat-PKWs.
Nach kurzer Zeit gelangen wir zur recht großen Laleli-Moschee, die wir uns aber – noch zaghaft – nur von außen anschauen.

Weiter gehen wir die Hauptstraße entlang. Von irgendwoher ertönt Musik, der wir folgen. Vor einem kleinen Open-Air-Café breitet sich ein weit ausladender Platz aus. Am hinteren Rand befindet sich ein großes Gelände mit orientalisch anmutendem Eingang, die Universität.


Daneben steht die älteste Moschee Istanbuls, die Beyazıd camii (auch Bayezıd-Moschee), im gleichnamigen Stadtbezirk. Auch der Platz trägt diesen Namen. Die Moschee wurde 1501 bis 1506 im Auftrag von Beyazıd II., dem Sohn des Eroberers von Konstantinopel, erbaut.

Dürfen wir als Touristen in eine Moschee? Wir betreten den Vorhof, den jede Moschee hat, und schauen uns um. Gruppen und einzelne Menschen sitzen dort auf Stufen. Hier kann man sich sammeln, es ist ruhig, ganz anders als draußen. In der Mitte befindet sich ein Brunnen zum Waschen der Füße.


Ist das Fotografieren erlaubt? Alex ist schon dabei, und niemand hat etwas dagegen. Ich sehe, dass Frauen aus der Moschee herauskommen, möchte dort auch hinein. Die Schuhe müssen ausgezogen werden, und zwar direkt vor dem Eingang. Aus einer Kiste zieht man eine Plastiktüte und kann die Schuhe darin verstauen und dann mit hineinnehmen.

Ein großer Raum, kühl und angenehm, so nehme ich den Innenraum der Moschee wahr, als wir sie betreten. Ein weicher, roter Teppich umschmeichelt die Füße.


Über meine Kopfbedeckung und das Verhüllen meiner Haare habe ich mir keine Gedanken gemacht. Ich trage einen Sonnenhut. Niemand spricht mich darauf an. Beim späteren Besuch von Moscheen wird mir deutlich, dass eine Frau sich Haar und Dekolleté mit einem Tuch verhüllen sollte. Tücher gibt es ebenfalls am Eingang.
Als Besucher kann man sich innerhalb einer Moschee frei bewegen, sollte jedoch nicht den abgegrenzten Innenraum betreten; der ist den betenden Männern vorbehalten. Während des offiziellen Gebets sollte man sich irgendwo ruhig hinsetzen und bis zum Ende einfach sitzen bleiben, um nicht zu stören.
Auch von außerhalb der Begrenzung kann man alle Winkel der Moschee sehr gut sehen. Einige Gläubige knien oder sitzen im weiten Gebetsraum, andere in Nischen vor einen Wand, verneigen sich. Eine fremde Welt für mich.
Moslemische Frauen, die ebenfalls zur Andacht oder zum Beten hierhergekommen sind, halten sich im hinteren Teil der Moschee, noch jenseits des „Besucherstreifens“ auf.
Uns beeindrucken hier insbesondere die Ausgestaltung der Kuppeln und die Wandmalerein. Und die Möglichkeit, sich auf einen weichen Teppich zu setzen und alles in Ruhe wirken zu lassen.



Nach unserer Besichtigung verlassen wir den Platz zwischen Universität und Café, wenden uns nach links und folgen wieder der Hauptstraße. Schon bald gelangen wir zum Kapalı Çarşı, dem Gedeckten (überdachten) oder Großen Basar mit seinen über 4000 Geschäften. Wir befinden uns im Stadtteil Eminönü, der sich bis zum Goldenen Horn erstreckt.

Direkt hinter dem Eingang des Basars, der wie alle Tore dezent von Sicherheitskräften überwacht wird, werden wir von einem Teppichhändler angesprochen. „Here we go, das klassisches Aufschwatzen eines Teppichs wird die Folge sein“, denke ich vorurteilsvoll. Doch es kommt ganz anders.
Alex lässt sich bereitwillig in die Räumlichkeiten „entführen“, während ich erstmal herumstehe und zunächst ein wenig in den Rummel um mich herum eintauche. Einige Minuten später kommt Alex mit dem Besitzer wieder heraus, um mich ebenfalls in die geschmackvoll eingerichteten Räumlichkeiten einzuladen. In einer kleinen Sitzgruppe nehmen wir Platz, erhalten einen Tee, und obwohl klar ist, dass wir nicht zu einem Kauf eines der wunderschönen Teppiche aufgelegt sind, entspinnt sich ein nettes Gespräch.
Der Besitzer hat zwei Jahre in Deutschland gelebt, kennt Städte wie Dortmund, Essen, Stuttgart und Trier. Alex erzählt ergriffen, wo er sich aus seiner Sicht gerade befindet: Nämlich in Konstantinopel, der Stadt des römischen Kaisers Konstantin. Vergangenheit und Gegenwart verweben sich. Er unterrichtet in Trier, besucht mit seinen Schülern die Basilika, wo Konstantin zum Kaiser gekrönt wurde. Und jetzt sind wir hier, in der Stadt, die seinen Namen trägt.

Ein amerkianischer Tourist betritt den Laden. Die Söhne des Besitzers beraten in gutem Englisch. Verschiedenfarbige Teppiche werden auf der großen freien Fläche in der Mitte des Ladens ausgerollt. Wunderschöne Kompositionen in Wahnsinnsfarben, teilweise sogar mit Goldfäden durchwirkt. Was könnte man hier einkaufen!

Bevor wir das Teppichwunderland verlassen, erklärt uns der Besitzer noch den Weg zum Basar der Buchantiquare, Sahaflar Çarşısı, gleich um die Ecke, aber außerhalb des überdachten Basars.
Etliche Läden gruppieren sich um einen größeren Innenhof. In dem Geviert gibt es Bücher in türkischer und arabischer Sprache, aber auch moderne Literatur, auch englischsprachige.


Die Tradition dieses Marktes reicht bis in`s 15. Jahrhundert zurück, als die Buchhändlerzunft sich aus dem Großen Basar hierher orientierte. Immer wieder gab es Brände mit vernichtender Wirkung, ausgelöst durch Erdbeben oder einfach Unachtsamkeit. Mitte des 20. Jahrhunderts wurden bei einem Brand die Holzhäuser samt Inventar (darunter viele alte Schriften) komplett zerstört. Heute bestehen die Gebäude aus Beton.

Ein Teeverkäufer, einen riesigen transportablen Samowar auf den Rücken geschnallt, versucht sein Getränk an den Mann und die Frau zu bringen. Beim Einschenken bückt er sich tief, sodass die Flüssigkeit im hohen Bogen über die rechte Schulter in das Gefäß vor ihm fließt. Das hat natürlich was, eine kleine Attraktion. Man muss sich hier auf dem Markt und auch sonst überall, wo gehandelt wird, etwas einfallen lassen, um erfolgreich zu sein.

Nachdem wir ein wenig über den Buchbasar geschlendert sind, begeben wir uns wieder in den Großen Basar.


Was für ein Trubel in den Gassen! Wir lassen uns durch die Gänge treiben, biegen ab, verlaufen uns, keine Ahnung, wo wir uns befinden, doch wir werden schon nicht verloren gehen! Überall viele Menschen, potentielle Käufer.




Die Konkurrenz ist so groß, dass jeder Verkäufer zumindest rudimentäre Kenntnisse der gängigen Sprachen beherrschen muss, um einigermaßen erfolgreich zu sein. Dazu gehören Türkisch, Arabisch, Englisch, Französisch, Deutsch, Spanisch und Russisch. Viele können sich fließend in sieben oder acht Sprachen unterhalten, wechseln diese ständig, nachdem sie die Passanten nach ihrer Nationalität eingeschätzt haben. Absolut erstaunlich. Man wird ständig angesprochen, doch niemals penetrant verfolgt. Ein Nein genügt, wenn man sich nicht auf ein Gespräch einlassen möchte.

Von weitem sehen wir die äußerst einladende Fassade eines Restaurants, das beim Näherkommen einen Einblick in das gekachelte Innere bietet. Spontan beschließen wir, hier einen Happen zu uns zu nehmen. Doch zuvor wird das Lokal erst mal geknipst – und sogleich kommt einer der Kellner auf uns zu und fordert mit todernster Miene: „You made a photo – give me money!“ – Alex erwidert: „No, no, I don`t want any money.“ – Der Kellner: “You took a photo of my restaurant, give me money!“ Woraufhin wir uns ergeben ins Restaurant – direkt vor die Essensvitrine - führen lassen.
Bis heute weiß ich nicht, ob der Dialog mit Humor zu nehmen ist, der Kellner hatte jedenfalls keine Miene verzogen. Die Köstlichkeiten, die wir dann verspeisen, bestehen aus Hackbällchen mit Kartoffeln aus dem Backofen mit Paprikasoße, Chorta, geschnetzeltes, leicht gewürztes und ultrazartes Lammfleisch mit Kartoffelpüree. Dazu trinken wir Cola und Ayran, Alkohol wird hier nicht ausgeschenkt.
Gegenüber nimmt in diesem edel eingerichteten Restaurant eine arabische Parea Platz. Ertappe mich dabei, wie ich die Frau anstarre. Sie ist noch jung und wunderschön. Mit welcher Anmut sie sich bewegt!

Nach unserem üppigen Mal tauchen wir wieder in den Basar ein und lassen uns weiter durch die verschiedenen Gänge treiben, bestaunen die üppigen Auslagen der unterschiedlichen Geschäfte. Bunte Lampen, Tücher aus Kaschmir und Seide, Bauchtanzzubehör, orientalische Düfte, Zeichnungen tanzender Derwische, Palitücher, nenne, was du suchst, hier wirst du es finden!
Irgendwann schauen wir uns die Schmuckvitrinen zweier nebeneinander liegender Geschäfte an. Während ich den tollen Silberschmuck bestaune, wird Alex in den Nachbarladen gelotst, wo ein älterer Herr versucht, ihm ein Kilo türkischen Tabak zu verkaufen. Alex entkommt ohne Tabak, schließlich hat er seinen eigenen mitgebracht.
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass der Mut zum öffentlichen Zigarettendrehen immer wieder mit großen Augen bestaunt oder mit Gelächter quittiert wird. Augenscheinlich wird damit noch etwas anderes assoziiert, was strengstens verboten ist, oder die Handlung als solche in der Öffentlichkeit ist schlichtweg verpönt. Doch im Vieraugengespräch wird Alex immer wieder nach seiner Tabakmarke gefragt.

Wo wir schon mal hier sind, möchten wir noch auf jeden Fall zum Ägyptischen Basar (auf Türkisch: Mısır Çarşısı), auch Gewürz-Basar genannt. Unter der englischen Bezeichnung Spice-Basar versteht auch jeder, wo man hin will.
Auf dem Weg dorthin sind wir in eine Gasse gelangt, die ebenfalls von unzähligen Geschäften umsäumt ist. Allerdings gibt es hier – im Gegensatz zum überdachten Basar – viele Billigprodukte zu kaufen. Auch jede Menge Straßenhändler, die wortgewaltig versuchen, auf Kaufentscheidungen der Passanten Einfluss zu nehmen, haben unterschiedlichste Waren im Angebot. Ständig bleiben wir stehen, schauen, lehnen ab, kaufen doch, lassen uns vom Geschehen um uns herum absorbieren, sind immer wieder von der Freundlichkeit der Menschen begeistert. Ein intensives Erleben! So wohltuend!



Die Eingänge über mittelalterlichen Herbergen (Hanı), entlang dieser Gasse, die heute allerdings anderweitig genutzt werden, tragen immer noch die alten Namen. Man kann sich gut vorstellen, wie sich in einer Unterkunft die Zunft der Seidenverkäufer aus Fernost mit Interessenten vom europäischen Kontinent traf, um wichtige Geschäfte abzuwickeln; wie man hoch zu Pferde mit Gewürzen aus Indien oder Persien einritt, um die edlen Waren in den folgenden Tagen an Großhändler aus Kleinasien und dem Nahen Osten gegen andere Gegenstände einzutauschen. Heutzutage beherbergen diese Hanıs kleinere Geschäfte oder stehen ganz leer.

Durch das Menschengewühl quetschen wir uns weiter die Gasse hinab. Der Ägyptische Basar liegt wohl an deren Ende, man zeigt uns den Weg, immer geradeaus, dann links um die Ecke. Und plötzlich liegt der Eingang in diesen ebenfalls überdachten Basar vor uns.

Wir treten ein und unsere Riechsensoren werden sogleich von einer Vielzahl von intensiven Düften betört: Gewürze unterschiedlichster Art, die in kleinen Häufchen in den Auslagen aufgetürmt sind, Parfüme in edlen Flakons, Teesorten, Rosenwasser, Wurst, Käse, riesige Oliven und vieles mehr.
Hier wollen wir einkaufen, und wir beginnen mit dem Pastirma- (griechisch: Pasturmá-) Geschäft. Zunächst naschen. Leeeecker, dieser salzig-knaublauchwürzige Schinkengeschmack. Wir essen mit den Fingern mitten auf dem Weg aus der Tüte und kaufen dann noch ein Pfund. Und dann noch eins zum Mitnehmen. Dieses wird eingeschweißt, so wie auch alle anderen Lebensmittel, die wir in verschiedenen Geschäften kaufen. Das spart Platz und hält frisch.



Ein Verkäufer bietet breit lachend seine Hilfe an: “Let me help you spend your money!“ In Ordnung. Die Waren hier sind alle erschwinglich, und auch sonst haben wir nirgendwo überzogene Preise entdeckt. Pfeffersorten, Paprika, scharfe Gewürze, Teesorten und Süßigkeiten erstehen wir hier. Den Liebestee lassen wir aber im Regal.



Durch den Ausgang des Ägyptischen Basars blicken wir auf einen Platz mit einer Moschee und auf das Goldene Horn und die gegenüberliegende Uferseite, den Stadtteil Galata mit dem gleichnamigen Turm. Goldenes Horn, so heißt ein Seitenarm des Bosporus, mehrere Kilometer lang, unter anderem von der Galatabrücke und der Atatürk-Brücke überspannt, der den europäischen Teil Istanbuls in zwei Hälften teilt. Atemberaubend schön ist es an diesem Platz. Hier werden wir erst mal bleiben!



Samstag Abend am Bosporus



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