Letzter Urlaubstag in Kavála



Erst einmal checken wir unseren Rückflug vom Internetnetcafé aus, das gleich neben unserem Hotel gelegen ist, und besorgen uns eine Busfahrkarte für den nächsten Tag nach Thessaloníki. In der Vormittagshitze, den Fächer immer griffbereit zur Hand, beginnen wir unseren Erkundungsgang durch die Stadt, die ihren Namen vielleicht der Tatsache verdankt, dass hier schon von jeher über die Vía Egnatía, die alte Verbindung zwischen Okzident und Orient, viele Menschen Zwischenstation gemacht und dabei ihre Pferde gewechselt haben. Wenn man dies auf moderne Transportmittel überträgt, machen wir im Grunde genommen ja auch nichts anderes.

Kavála schmiegt sich an einen steilen Hang. Sehenswert ist insbesondere die Altstadt mit den vielen türkischen Relikten, den Häusern mit den Vorbauten aus Holz, und einem Kástro-Viertel hoch oben auf einer kleinen Halbinsel.


Der Vormittag ist bereits stark vorangeschritten, die Temperaturen befinden sich im schon fast vertrauten 40-Grad-Bereich und wir fügen uns in das Schicksal, das uns als Touristen auszeichnet, nämlich in brütender Hitze durch die Straßen zu ziehen, wenn alle Einheimischen, die nicht unbedingt etwas zu erledigen haben, sich in ihren kühlen Gemäuern aufhalten. Tapfer steigen wir bergan.


Auf halber Höhe gelangen wir zu der offenbar neu gestalteten Fassade eines großen, älteren Gebäudes, das uns gleich an den Orient erinnert. Ein Schild am Eingang klärt uns darüber auf, dass es sich hier um ein Hotel handelt. Wir öffnen die Tür und bleiben baff erstaunt im Eingang stehen, betrachten das opulente Interieur, während eine Angestellte mit einem Staubwedel hantiert. Gediegenes Inventar in kühlem, dicken Gemäuer, Lüster an der Decke, gedeckte Farben an den Wänden, ein geschnitzter Holzparavent und kleine, teuere Details, die das Auge erfreuen, weisen darauf hin, dass es sich um ein Luxushotel handeln muss. Das alles wird seinen Preis haben.
Wie wir später erfahren wurde das historische Gebäude aus dem Jahr 1817, das Imaret, zu dem früher eine der bedeutendsten Schulen im gesamten Balkan, eine Moschee und ein türkisches Bad gehörten, das unter anderem aber auch als "Suppenküche" für Studenten, Arme und Reisende diente und dem heutigen Hotel seinen Namen gegeben hat, auf Initiative einer Frau, Anna Missirian, restauriert und so vor dem endgültigen Verfall gerettet.


Sieben Jahre an Überzeugungsarbeit waren notwendig, um einen Pachtvertrag und die Genehmigung zur Restaurierung zu erhalten, denn sowohl die ägyptischen Eigentümer als auch die griechischen Behörden hatten ihr Augenmerk eher auf andere Objekte gerichtet als auf diese Anlage in Kavála, die von dem in dieser Stadt geborenen Mohamed Ali Pasha, Vizekönig von Ägypten, erbaut worden ist. Umso bemerkenswerter ist die Instandsetzung gelungen, in weniger als 2 Jahren, wie man liest. Das Hotel wird der europäischen Spitzenklasse zugerechnet.

Mittlerweile gibt es ein ägyptisch-griechisches Abkommen zur Dokumentation des ägyptischen Erbes von Mohamed Ali in Griechenland und Ägypten, das im Mai 2007 in Kavála unterzeichnet worden ist.

Durch enge Gassen, mit vielen sehr schönen, alten Häusern, gehen wir weiter den Hügel hinauf. Immer wieder suchen wir den Schatten. Unser Ziel ist das "Haus des Mohamed Ali Pascha". Das orientalische Flair wird zwischendurch von Provokationen unterbrochen, wie einem schreiend-bunt angestrichenen Wohnhaus oder anderen sonderbaren Details.


Vor uns stapft ein Paar ebenfalls bergan, der Tempopack und der Labello in der Außentasche des kleinen Rucksacks identifizieren sie als Deutsche. Auch sie schwitzen. Hier oben haben vermutlich die engsten Vertrauten von Mohamed Ali Pascha, Offiziere, Politiker und Verbindungsleute in stattlichen, zweigeschossigen Häusern gewohnt. Viele kleine Details lassen diese Zeit auferstehen, z.B. Inschriften in arabischer Sprache, verwinkelte enge Gassen, kleine Innenhöfe, die heute offen einsehbar sind. Es gibt nur wenige, die noch von einer langen, hohen Mauer eingeschlossen sind.

Irgendwann erkennen wir das "Haus des Mohamed Ali Pascha“, auf das als Restaurant auf der Interseite des Imaret-Hotels hingewiesen wird. Alles ist abgeschlossen, nur aus gebührendem Abstand kann man die architektonischen Details bewundern. Dafür prangt ein Denkmal auf einem kleinen Platz neben dem Haus.

Uns faszinieren vor allem der Schatten eines Baumes und eine Bank, auf der wir uns erst einmal niederlassen. Von hier hat man eine fantastische Sicht bis hinüber zur Insel Thássos mit ihren davor installierten Bohrtürmen im Dunst.

Der Panoramablick ist wirklich grandios. Zu unseren Füßen liegt der Hafen, die schmucke Neustadt Kaválas zu unserer Rechten reflektiert das Sonnenlicht in unterschiedlichen Schattierungen.


Nachdem wir auch das Standbild des früheren Herrschers besichtigt und den Park durchschritten haben, begeben wir uns in`s benachbarte Kastroviertel und zahlen am Kiosk 1,50 € Eintritt.

Doch vor einer weiteren Erkundungstour möchten wir uns erst einmal im Café ausruhen. Keiner weit und breit zu sehen. Und so bedienen wir uns am Kühlschrank mit kühlen Getränken und einem erfrischenden Eis. Bezahlt wird beim Kioskwärter. Das Café befindet sich am höchsten Punkt der Anlage und erlaubt den Blick über eine kleine Wiese, die von den Burgzinnen eingefasst ist und auf der außerdem eine Bühne aufgebaut wurde.

Offensichtlich finden hier kulturelle Veranstaltungen statt. Was immer hier aufgeführt wird, beschert dem Besucher noch den zusätzlichen Genuss, am Abend hoch über Kavála sitzend, die Lichter der Stadt jenseits der Burgmauer zu sehen.

Von unserem Café-Platz aus genießen auch wir es, über einen großen Teil der Stadt schauen zu können, einfach wunderschön, ein Augenschmaus diese bauliche Komposition. Wir sind glücklich, hier zu sein. Bald schon fliegen die Gedanken davon...

Die Bühne interessiert mich jetzt doch sehr, bin gespannt, wie die Optik aus der Sicht einer Akteuerin ist.


Nach einer Weile wagen wir einen kleinen Rundgang auf der Stadtmauer, zunächst nur hier im Areal des Cafés. Weitere atemberaubende Blicke auf die Stadt mit dem recht neu restaurierten, zweistöckigen Aquädukt, den mittelalterlichen „Kamáres“ (Arkaden), aus osmanischer Zeit.


Über die mächtige Leitung gelangte das Wasser in die Stadt, für das Volk. Die Herrschenden hatten im Innenhof des Kastros eine eigene Zisterne, was ihnen ein hohes Maß an Unabhängigkeit bot, wenn man an mögliche Belagerungen dachte.

Weniger spektakulär sind das ehemalige Nahrungsmittellager aus dem Jahr 1530, das im 18. Jahrhundert zu einem Gefängnis umfunktioniert wurde und auch sonstige bauliche Überreste, die sich in einem weiten Karree neben dem Café befinden.

Am späten Nachmittag steigen wir bei geringfügig moderateren Temperaturen wieder hügelabwärts. Das Aquädukt möchten wir uns aus der Nähe ansehen. Die kleinen Gässchen auf dieser Seite des Hügels verströmen einen ganz eigenen Charme, viele Ruinen gibt es auch hier, längst ist noch nicht alles instandgesetzt.

Die alte Wasserleitung wirkt von unten genau so gigantisch, wie sie - von oben gesehen - einen Teil der Stadt majestätisch durchschneidet. Aus dem Kastroviertel mittlerweile herausgekommen müssen wir schon wieder rasten und beschließen unsere Erkundungstour am einzigen Tisch vor einem Souvlaki-Grill mit Blick auf eine ganz andere architektonische Epoche.


Zum Abschluss gibt es also doch noch eine dieser oberleckeren Souvlaki-Pommes-Tsatsiki-Tomaten-Pites. Hmmmmmm. Dazu ein eisgekühltes Amstel. Die Grillbude steht an der Kreuzung dreier Straßen, entsprechend viel ist jetzt am frühen Abend los, da alle wieder so langsam aus ihren Häusern geschlichen kommen.

Rote Taxen passieren unseren Tisch. Unser Wirt, ein albanischer Landsmann, scheint allseits bekannt und beliebt zu sein. Er wird von der Straße aus im Vorbeifahren nett gegrüßt, andere kommen auf einen Schwatz vorbei. Wir kommen ein wenig ins Gespräch. So nutzen wir die Gelegenheit, ihn zu fragen, was er über die Bevölkerungsgruppe der „Arvaniten“ weiß. Er klärt uns darüber auf, dass diese ursprünglich Hirtennomaden waren. Die in Griechenland lebenden Arvaniten seien sesshaft. Sie haben aus dem Albanischen heraus eine eigene Sprache entwickelt, die jedoch mit dem heutigen Albanisch nichts mehr gemein hat.

Die harte Arbeit hat dem Wirt einen bescheidenen Wohlstand beschert. Er besitzt – neben seinem Grill – ein eigenes Auto und hat sich ein Haus gekauft, in dem er mit seiner vierköpfigen Familie lebt. Allerdings findet er es hart, immer wieder um seine Aufenthaltserlaubnis zu kämpfen, die ihn nach seinen Aussagen jedes Jahr 300 € pro Kopf kostet.

Eine Romafrau kommt vorbei und schwatzt ein wenig mit ihm. Hoch erhobenen Hauptes mit klirrenden Goldreifen und einem ganz fein gearbeiteten, riesigen Goldring am Finger schreitet sie bald wieder weiter. Ach, wie schön es hier ist, mitten in dieser Lebendigkeit!

Auf dem Weg zurück ins Hotel möchte ich mir gerne noch einmal das Rathaus (Dimarchío) anschauen. Unterwegs kommen wir jedoch noch an einem anderen imposanten Gebäude vorbei.


Es handelt sich um das ehemalige Tabakzentrum, in dem die Tabakblätter gelagert, verarbeitet und die fertigen Produkte gehandelt wurden. Davor gibt es ein Mahnmal für die Tabakarbeiter, die während der Aufstände gegen Unterbezahlung und schlechte Arbeitsbedingungen hier umgekommen sind. Ihre Namen sind in Stein gemeißelt. Das Gebäude ist geöffnet.

Die Innenräume sind gepflastert, Decke und Treppen komplett aus Holz. In den Boden eingelassen sind zwei Brunnenschächte mit Wasser, heute mit durchsichtigen Plexiglasscheiben abgedeckt und von unten beleuchtet, die früher einem einheitlichen Raumklima dienten, um die Tabakblätter angemessen feucht zu halten, damit sie bei der Verarbeitung nicht brachen.

Anlässlich des 50jährigen Jubiläums des Festivals im nicht weit von Kavála entfernten Theater von Philippi, das zur Zeit stattfindet, hat man in den Räumen eine Ausstellung installiert, die der Geschichte des Festivals gewidmet ist. Erstmalig habe man die Kostüme, Plakate, Fotos und weitere Erinnerungsstücke aus den verschiedenen Jahren zusammengetragen, wie wir am Eingang bereitwillig aufklärt werden. Die Geschichte des Festivals sowie ein Programmheft zum diesjährigen Jubiläum, beide auf Griechisch, können wir mitnehmen.


Nach dieser weiteren interessanten Entdeckung haben wir die Richtung zum Dimarchío verloren und fragen die beiden Männer, die uns gerade passieren, nach dem Weg. Einer von ihnen nimmt uns am Ärmel mit bis zur nächsten Straßenkreuzung, deutet mit ausholender Armbewegung nach unten, dass wir DORT hinunter müssen. Seine verbalen Defizite (er ist kein Grieche) gleicht er durch eine eindeutige Geste aus, indem er den rechten Arm immer wieder dermaßen nach vorne schleudert, dass sein gesamter Körper fast mitfliegt. DA also müssen wir lang. Wir danken ihm für die eindeutige Wegbeschreibung und finden das Dimarchío auf Anhieb.

Es ist von weiteren Häusern dieses Baustils flankiert, wie ich jetzt von Nahem sehen kann. Sie wirken herrschaftlich, einem Stadtoberhaupt angemessen. Gleich daneben noch einige Ruinen, die – einmal hergerichtet – das bauliche Ensemble abrunden werden, Stolz einer modernen Stadt, das dem Fremden auch gut als Orientierungspunkt dienen mag.


Ein letztes Abendessen im Hafen rundet diesen wunderschönen letzten Urlaubstag ab. Wir entscheiden uns dieses Mal für ein uriges Lokal, die Psárotaverna (Fischtaverne) „Perdíki“ vor dem Anleger für die Fischerboote im Hafen und bestellen allerlei Kleinigkeiten, so wie wir es fast jeden Abend getan haben. Ein letztes Mal Oktopus und Fisch vom Grill munden vorzüglich. Traurigkeit wegen unseres bevorstehenden Abschieds aus Griechenland gepaart mit dem satten Genuss der wunderschönen Zeit, die wir auf unserer Reise an allen Orten hatten, macht sich langsam breit.

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