Ausflug nach Komotiní



Jedes Dorf erzählt eine ethnische Geschichte. Türkische, griechische und gemischte Dörfer, immer wieder zu erkennen an den Symbolen des jeweiligen Glaubens, den Kirchen/Moscheen mit den Minaretts und den unterschiedlichen Grabsteinen der Friedhöfe.

Nach einer etwa halbstündigen Fahrt gelangen wir zu den Außenbezirken Komotinís, das in den letzten Jahren und Jahrzehnten stark gewachsen sind. Eine brandneu geteerte Hauptstraße führt von Westen her, am Stadion vorbei, in die Stadt hinein.

Im Busbahnhof angekommen schlägt uns eine windstille Hitze entgegen. Bevor wir zu einem Erkundungsgang aufbrechen, brauchen wir dringend noch etwas zu trinken.

Im Schatten eines luftigen großen Gartenlokals, in dem fast ausschließlich jüngere Türken (Studenten?) verkehren, genießen wir unseren Frappé. Was mich fasziniert ist die Selbstverständlichkeit, mit der man miteinander umgeht. Hier scheint es keine Ressentiments zu geben. Türkische Kellner sprechen griechisch und bedienen einen Griechen und eine deutsche Urlauberin. Kein Thema. Warum auch nicht? In unseren Medien allerdings hört man – wenn überhaupt – von Schwierigkeiten und Problemen, die es fast unmöglich machen, dass die Türkei der EU beitritt, vom Zypern-Konflikt, in dem sich der griechisch-türkische Dissens bis auf den heutigen Tag widerspiegelt.

Ein Café als Mikrokosmos ist sicherlich nicht repräsentativ für zwischenstaatlichen Umgang, doch das fremde Gefühl, das ich beim Betreten des Lokals verspürt habe, löst sich durch diesen doch wieder vertrauten, freundlichen Umgang auf. Vielleicht hatte es aber auch damit zu tun, dass hier fast ausschließlich Männer verkehren. Während wir unseren Frappé schlürfen, ertönt vom nicht weit entfernten Minarett der Ruf zum Mittagsgebet.
Orientieren kann man sich in der Innenstadt ganz gut am Stadtpark (Agia Paraskeví) und der gleich daneben liegenden Platía Irínis (Friedensplatz).

Nordöstlich des Platzes beginnt das Geschäftsviertel mit den Destillerien (Oúzo, Tsikoudiá) und Röstereien. In den engen Gassen weht uns der köstliche Duft aus einer Kaffeerösterei entgegen. Ellenikó, griechisches Nationalgebräu, wird hier veredelt.
In anderen Geschäften werden Hülsenfrüchte und Nüsse geröstet. Komotiní heißt deshalb im Volksmund auch „Straggaloúpoli“ - Stadt der gerösteten Kichererbsen; die Einwohner Komotinìs nennt man scherzhaft "Straggaládes".
In einer Gasse gibt es einige "Soutsoúk Loukoúm"-Läden, die diese oberleckeren, klebrig-zähen Plombenzieher in Wurstform, umhüllt von Puderzucker, verkaufen.


Geschäfte mit orientalischen Antiquitäten, unendlich viele moderne Schuhgeschäfte mit Sandaletten für die Frau, Lebensmittelgeschäfte, Küchenzubehör, alles ist hier erhältlich. Auch chinesische Geschäfte gibt es mittlerweile, wieder gekennzeichnet durch rote Ballons vor den Häusern.

Der Fleischmarkt ist etwas Besonderes. In dieser kühlen Halle wird an zahlreichen Ständen Fleisch, Wurst, Schinken und auch Fisch verkauft. Große Fleischleiber hängen an riesigen Fleischerhacken, auf einem Hauklotz werden portionsgerechte Teile für den Kunden zurechtgehackt. Erinnerungen an die Fleischereien von Iráklio auf Kreta vor 20 Jahren, als EU-Standards noch Fremdworte waren und frisch geschlachtete Tiere vor den Geschäften zum Ausbluten hingen.


Auch wir können nicht daran vorbeigehen und erstehen ein halbes Kilo Pasturmá (luftgetrockneter Schinken vom Rind mit Knoblauch-Pfeffer Kruste), ein einzigartiger Genuss, der sich ausgezeichnet mit Schafskäse, Oliven, Brot und einem Schluck Weißwein zusammen verzehren lässt.

Zurück auf dem Platz „Iríni“ erstehe ich am Touristenpavillion Infomaterial in griechischer Sprache, anderes ist nicht erhältlich. Die freundliche Dame am Kiosk spricht auch kein Englisch. Ich nehme ein paar Postkarten mit Stadtmotiven mit, ebenso einen kleinen Umgebungsplan, einen Spielplan für den laufenden Monat des Theaters „Latomío“ (Steinbruch) in Marónia, einen schön gestalteten, achtseitigen Überblick mit Fotos über die Region Ostmakedonien / Thrakien, einen ebenso hübsch zusammengestellten, aufklappbaren Komotini-Stadtführer sowie eine ganz besondere Broschüre des örtlichen Fußballvereins, in der auf Fairness im Sport hingewiesen wird.

Hier, auf dieser Platía, rockt abends der Bär, hier trifft sich die Jugend in den zahlreichen Lokalen. Tagsüber finden verschwitzte Stadtbesucher ein wenig Schatten bei einem kühlen Getränk.

Nach einer kleinen Rast beginnt der nächste Teil unserer Stadtbesichtigung. Im schön angelegten, im Sommer kühlen Stadtpark, sitzen Bürger der Stadt auf Bänken und halten ein Schwätzchen.


Hinter dem Park gelangen wir in ein Viertel, in dem Alt und Neu nebeneinander stehen. Es ist ein ethnisch gemischter Bezirk, an den sich in nördlicher- und nordöstlicher Richtung das türkische Viertel anschließt.


Alte, ein- bis zweistöckige Häuser, die von hohen Mauern und einer verschlossenen Tür umgeben sind, wie man sie aus dem Orient kennt, säumen die Gassen. Viele Häuser scheinen renoviert zu sein, zumindest von außen. Kleine Ziegeldächer, wie man sie überall in Thrakien sieht, bedecken die Behausungen.


Eine Tür ist geöffnet, nein, eher angelehnt, eine Frau fegt den Hof. Anklopfen, die Frau schaut misstrauisch und verschwindet. Ihr Mann kommt im selben Augenblick, sehr zurückhaltend, skeptisch, was die Fremden hier wollen.

Eine Frage auf Türkisch, ob man kurz eintreten dürfe? Man habe selbst hier einmal gewohnt. Bereitwillig werden die Türen geöffnet, die Frau kommt wieder heraus, hat mittlerweile mit einem Tuch ihre Haare bedeckt. Ein Moment der Rührung, ja, das hier ist das Haus, es hat sich nichts verändert. Ein kleines Zimmer. Das türkische Ehepaar nutzt es als Wohn-Schlaf-Raum. Draußen führt eine Treppe nach oben zu weiteren Räumen. Der Hof birgt unter einem Vordach eine Küchenzeile und einen großen Warmwasserboiler. Paprika- und Tomatenpflanzen stehen rechts davon, ein Zitronenbaum hat hier ebenfalls seinen Platz.
Wir werden zum Tee eingeladen, doch wir bedanken uns, gehen wieder, möchten die Ruhe der Leute nicht weiter stören.


Viele solcher kleinen Häuser gibt es in diesem Viertel, daneben allerdings werden Wohnhäuser gebaut, was das Zeug hält. Und was für welche!
Nein, keine Einfamilienhäuser, sondern Mietshäuser für viele Parteien. Die Fassaden in schönen Farben gestrichen, Balkone mit geschwungenen Geländern. Davon könnten sich Städteplaner bei uns mal eine gehörige Scheibe abschneiden, hier könnte man direkt einziehen, wollte man in der Stadt leben. Warum diese unendlich vielen Wohnkomplexe entstehen, darüber gibt es viele Spekulationen.


Komotiní hat neben Iráklio und Pérama als dritte griechische Stadt von 2000–2006 am URBAN-II-Projekt partizipiert, einem wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsprogramm, das der Stadt 8 Mio EUR EU-Gelder einbrachte (der Gesamtetat wurde mit 12,393 Mio EUR veranschlagt). Urban II war eine Gemeinschaftsinitiative des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) zur dauerhaften Entwicklung städtischer Krisengebiete in der Europäischen Union für den Zeitraum 2000-2006.

Für Iráklio auf Kreta wurden ebenfalls ca. 8 Mio EUR zur Verfügung gestellt. So erklärt sich auch die Sanierung des Hafenviertels inkl. Fußgängerzone in der 25.August-Straße in den letzten Jahren.
Für Pérama wurden 9,5 Mio EUR an Zuschuss gewährt.

In Österreich wurden 2 Städte bezuschusst:
Wien 4,2 Mio EUR (Stadterneuerung Wien Erdberg)
Graz 4,2 Mio EUR (Stadterneuerung Graz-West)


Im Vergleich dazu wurden für Stadterneuerungsprojekte an deutsche Städte gezahlt (hier nur einige Beispiele):
Bremerhaven knapp 10 Mio EUR
Dortmund knapp 10 Mio EUR (Dortmunder Norden = sozialer Brennpunkt)
Berlin knapp 15 Mio EUR (Stadtteile Lichterberg und Friedrichshain)
Saarbrücken knapp 10 Mio EUR (Saarbrücken-Dudweiler)
Leipzig knapp 15 Mio EUR

Deutschland ist mit knapp 150 Millionen EUR der mit Abstand größte Nutznießer des Programms.

Neben der Verbesserung der technischen Entwicklung liegt in Komotiní der Fokus auf der Stadtentwicklung, um den sozialen Problemen der multikulturellen Gesellschaft zu begegnen, indem Minoritäten besser integriert werden. Was immer das auch heißen mag, denn Integration kann auch Assimilation bedeuten. Wurden die genannten Minoritäten gefragt, ob es ihnen so Recht ist?

Um vom Positiven auszugehen, möchte ich noch einmal betonen, dass ich die Idee einer thrakischen Region, in der Bevölkerungsgruppen sehr unterschiedlicher kultureller Prägungen und Religionen friedlich nebeneinander leben, als Modell für Europa hervorragend finde. Allein dieses Ziel rechtfertigt für mich schon die Bereitstellung dieser Gelder. Leider hört und liest man vermutlich nicht nur hierzulande darüber viel zu wenig.

Schon seit einigen Stunden sind wir unterwegs, und so langsam beginnen die Füße zu brennen, so dass wir beschließen, wieder in Richtung Zentrum zu gehen. Unser Weg führt zurück zur Mauer, die in byzantinischer Zeit die Stadt umschloss und die auch heute noch in Teilen recht gut erhalten ist.

Eine bedeutende Kirche, die Mariä Entschlafung geweiht ist, wird offiziell sogar als Tempel bezeichnet: "Ierós Naós tis Kimíseos tis Theotókou". Leider ist sie geschlossen, doch von außen kann man durch die Fenster einen Blick auf die kunstvollen Schnitzereien der Altarwand werfen.


Gegenüber liegt der Sitz des Mitropoliten. Das Gebäude scheint frisch renoviert zu sein, mit einer wunderschönen, orientalisch anmutenden Eingangstür.


Nach einer kleinen Rast erwischen wir einen Stadtbus, der auch die Dörfer der Randbezirke bedient, und fahren auf Verwandtschaftsbesuch. Mittlerweile ist schon der Vorabend angebrochen. Langsam senkt sich kühlere, etwas feuchte Luft über die Landschaft. Frauen sind unterwegs zur Kirche, um gemeinsam mit dem Geistlichen die Liturgie zu singen, die über Lautsprecher im gesamten Dorf sehr gut zu hören ist. Dieser Gesang hat etwas Heimeliges, Vertrautes aus unserer Kindheit in den erschiedenen Ländern. Bald ist der 15. August, Maria Himmelfahrt, in Griechenland ein hoher Feiertag. Wie vor Ostern wird von vielen Gläubigen gefastet. Die Messe wird jetzt jeden Abend auf diese Weise zelebriert.

Später steht man zusammen und klönt ein wenig, einige Frauen machen einen kleinen Spaziergang. Auf den Veranden oder in den Höfen der Wohnhäuser sitzt man zusammen und trinkt etwas.
Langsam ist es dunkel geworden, als wir unseren Rundgang durch das Dorf beenden, mit vielen Zwischenstopps, kleinen Schwätzchen und der Feststellung, dass alle älter geworden sind.

Bei einem deftigen Abendessen aus frischen Eiern, gebratener Wurst und einem fantastischen Tomaten-Ziebelsalat, der seinesgleichen sucht, fühlen wir uns herzlich willkommen. Eine längere Diskussion über die politischen Themen unserer Zeit bei einem Glas Retsina runden den Abend ab.
Ziemlich spät kehren wir schließlich mit einem Taxi zurück nach Fanári und lassen den schönen, ereignisreichen Tag noch einmal Revue passieren.

***

Die folgenden Tage verbringen wir in aller Ruhe und Entspannung in Fanári. An einem der Abende sind wir in Komotiní eingeladen, treffen Verwandte und deren Bekannte, speisen in einem Freiluftlokal. Stundenlang sitzen wir ganz gediegen und gemütlich in sympatischer Runde, essen allerhand Leckereien und pflegen eine interessante Konversation über Gott und die Welt.

So langsam neigt sich unsere erste Urlaubswoche dem Ende zu. Bevor wir jedoch die Gegend verlassen, freuen wir uns auf ein weiteres Highlight, den Samstagsmarkt von Komotiní.

Der Basar von Komotiní