Regen im August



Nach einer langen Nacht mit tiefem Schlaf erwartet uns im obersten Stockwerk unseres Hotels ein sehr üppiges Frühstück mit frischem Brot und verschiedenem Belag, Eiern, Kuchen, Cornflakes, Tee und unterschiedlichen Kaffeesorten an einem Büffet.
Die ausschließlich griechischen Gäste lassen es sich schmecken, von wegen „Griechen frühstücken nicht!“ Auch wir stärken uns für den Tag. Das Dach ist verglast, sodass die Sonne hell in unsere noch verschlafenen Augen sticht. Der gute Bohnenkaffee macht uns jedoch bald munter für unser Vorhaben, die Stadt bei Tageslicht zu durchstreifen, einzutauchen in das sonntäglich-stille, ómorfi Thessaloníki .

Bevor wir zur Altstadt gehen möchten, steuern wir zunächst einmal durch schmale Gassen den näher gelegenen Hafen an. Unsere Aufmerksamkeit wird durch rote Ballonlampen vor Hauseingängen erregt, ein Zeichen dafür, dass Chinesen hier Handel treiben und ihre Geschäfte und Lagerräume angemietet haben. Kleinchinatown. Ein Asiate kommt uns mit einem Bauchladen voller Tand entgegen. In anderen Städten ist das nicht anders, chinesische Händler begegnen uns auch später immer wieder.

Der alte Hafen ist wie ausgestorben. Ein Wachmann klärt uns lässig darüber auf, dass uns der Hafen bis zum Pier 10 offen steht. Fotografieren: Oxi! Wir gelangen schnell zur alten Wartehalle. Ab hier fuhren Passagiere einst in alle Welt. An der Rückseite des Gebäudes, das nicht zugänglich und durch ein Gitter abgesperrt ist, stellen wir uns vor, wo man damals auf den noch vorhandenen Sitzbänken auf sein Schiff wartete, rauchend, redend, in Erwartung einer (längeren) Seereise und auf gutes Wetter hoffend, so wie wir, denn der Himmel bewölkt sich zusehends.

Ein paar Schlenker über das Kopfsteinpflaster der Hafengassen, dann wieder aus dem Hafengelände heraus, gelangen wir zur ebenfalls nicht zugänglichen Vorderseite der großen Wartehalle.


Nach einer Weile traben wir entlang einer breiten, unromantischen Autostraße in Richtung Aristotelesplatz und genießen Ausblicke über einen Teil der weit ausladenden Hafenfront der Stadt.


Unweit der Platía entdecken wir ein Denkmal, das den jüdischen Bürgern der Stadt gewidmet ist, die dem Holocaust zum Opfer fielen. Eine Tafel wurde anlässlich des ersten Staatsbesuches des israelischen Präsidenten, Moshe Katsav, am 16. Februar 2006 angebracht.




Wir setzen uns eine Weile hier hin und versuchen uns vorzustellen, wieviel Angst sich in der Stadt breit gemacht haben muss, als innerhalb kurzer Zeit 50.000 angesehene Bürger der blühenden Stadt in einem Ghetto interniert, in Zügen nach Auschwitz deportiert und ermordet wurden. Dieser Teil der deutschen Geschichte lässt mich nie kalt, da kann ich nichts machen, Urlaub hin oder her.

Nachdenklich gehen wir weiter und beobachten, wie sich der Himmel immer mehr zuzieht. Der Aristotelesplatz kommt in Sicht, gesäumt von etlichen Cafés und Geschäften. Uns dürstet nach Kaffee. Kaum haben wir unter einem der riesigen Sonnenschirme auf einer bequemen Couch Platz genommen, fängt es an zu regnen. Ach, was rede ich, es schüttet aus vollen Kannen. Unser Sonnenschirm bleibt zwar dicht, doch auf dem Platz sammelt sich das Wasser schnell, bildet wahre Bäche, die über die Platía laufen. Ich fasse es nicht, wir haben Hochsommer, und dann dieser nicht enden wollende Sturzregen, so was kenne ich nur vom Oktober aus Kreta, wenn der erste Regen nach dem langen, heißen Sommer endlich vom Himmel stürzt.

Was soll`s, wir bestellen Kaffee und beobachten die wenigen anderen Gäste, die sich lieber ins Innere der Cafés zurückgezogen haben. Dort ist es sicherlich auch ein wenig wärmer. Immer wieder huschen unsere Blicke nach oben, zu den Wolken, um uns einzureden, dass das Schlimmste bestimmt schon vorbei ist.
Schließlich kommt etwas Wind auf. Dieser wird den Regen sicherlich vertreiben, hoffe ich. Doch nein, er treibt noch dunklere Formationen heran, deren Schleusen sich nacheinander öffnen und uns die letzte Lust auf einen weiteren Stadtbummel nehmen.
Und doch sind wir uns einig: Zum Akklimatisieren sind uns die mit dem Regen verbundenen, kühleren Temperaturen ganz recht. Und ewig wird es schon nicht regnen. So denken und hoffen wir bangen Blickes.
Unser Kaffee ist schon lange ausgetrunken, als wir es endlich wagen, zwischen zwei Wolkenbrüchen zurück zum Hotel zu rennen.

Zu solchen Gelegenheiten ist es gar nicht so schelcht, einen Fernseher auf dem Zimmer zu haben. Gemütlich und warm schauen wir uns ein Livekonzert mit verschiedenen griechischen, zeitgenössischen Künstlern an. Guten Gewissens, dass wir draußen absolut nichts versäumen, verbingen wir den Nachmittag in unserem Zimmer. Langsam werden die Regenschauer etwas weniger heftig.

Unser Abendessen möchten wir in einer Tavernengasse, in der Nähe der Ouzerie „Melafron“ einnehmen. Nachdem sich das Wetter am Spätnachmittag ein wenig beruhigt und wir schon frohlockt haben, fängt es wieder an zu schütten, als wir das Hotel verlassen möchten. Der Empfangschef an der dunklen, rauchgeschwängerten Rezeption leiht uns zwei Schirme, die es ein wenig leichter machen, uns draußen zu bewegen.

In einer der gähnend leeren Tavernen nehmen wir Platz, ein Vordach und etliche Sonnenschirme halten die Nässe ab. Irgendwie wird es am Abend jedoch empfindlich kalt, sodass wir sogar unsere Jacken und Pullover brauchen. What a weather!
Nur wenige Gäste haben sich noch außer uns hierher verirrt. Das offensive Buhlen auf der Gasse ist auch nicht jedermanns Geschmack, warum lässt man die Gäste nicht selbst und in Ruhe entscheiden, wo sie zum Essen hingehen wollen? Unser Mahl besteht aus einer Portion Biftékia in einer göttlichen Soße aus frischen Tomaten mit Kartoffeln und Salaten. Der Wein schmeckt uns auch hier sehr gut. Als Nachtisch erhalten wir auf Kosten des Hauses, wie schon in der Ouzerie am Vorabend, eine große Portion Kuchen und Eis, getränkt mit Honig, übergossen mit Schokoladensoße. Eine Sünde, die sich im Laufe des Urlaubs entscheidend auf unsere Taillenumfänge auswirken wird. Für das schlechte Gewissen finden wir beruhigende Ausflüchte, wie „Schließlich sind wir im Urlaub!“ oder „So etwas Leckeres KANN man einfach nicht stehen lassen“ ...
Mittlerweile sind wir richtig ausgekühlt, es schüttet weiterhin wie aus Eimern, sodass wir zeitig ins Hotel zurückkehren. Auch nicht die schlechteste Entscheidung, denn morgen früh möchten wir nach Thrakien fahren.

Von Thessaloníki nach Fanári